Greywalker
wahr?«
Wieder verunstaltete ein hässliches Lächeln sein Gesicht. »Warum sollte ich sonst daran interessiert sein?«
Neunundzwanzig
Mara stand auf dem Treppenabsatz und ihre leuchtende Aura gewann an Stärke, während sie sich Carlos entgegenstellte. »Wenn Sie versuchen, es an sich zu reißen, werden Sie es entkorken und den Flaschengeist befreien. Sie haben die Größe des Energienexus gesehen, von dem es zehrt. Es ist zum Bersten angefüllt mit Kraftfeldern, die nur ein Ziel haben – zu flüchten. Außerdem würde es Ihnen hier in diesen Räumlichkeiten nichts nützen; also müssten Sie es wegschaffen. Aber das ist unmöglich, ohne die aufgestauten Energien zu befreien. Es ist zu reif.«
Er starrte sie finster an und begann ebenfalls zu glühen. Etwas schimmerte zwischen ihnen, aber ich war viel zu erschöpft, um genauer hinzusehen oder es zu begreifen.
»Ich glaube, es gibt nur eine Person, die die gewaltigen Energiemengen beherrschen kann, wenn sie erst einmal anfangen, sich zu entfalten«, fuhr Mara fort. »Sind Sie nicht auch dieser Meinung?«
Carlos zögerte.
Ihre Stimme war leise aber kraftvoll. Ich konnte sie bis in meine Knochen spüren. »Antworten Sie mir!«
Er fletschte die Zähne und knurrte sie an. Der unsichtbare Umhang aus Dunkelheit, der ihn umgab, blähte sich auf. »Wagen Sie es nicht, mich herumzukommandieren, Hexe.«
»Machen Sie doch keine Dummheiten!«, fuhr sie ihn an. »Wollen Sie etwa die ganze Energie-Substanz zerstören? Das wäre für Wesen wie Sie noch schlimmer als für mich. Und ich will gar nicht daran denken, wie schrecklich es bereits für mich wäre.«
Carlos knurrte ein letztes Mal und trat dann einen Schritt zurück. Das Schwarz um ihn herum wurde sichtbar schwächer. Er warf einen Blick über die Schulter auf das Harmonium.
Endlich gab er sich geschlagen. »Sie haben recht, es ist zu gefährlich. Aber wir können es niemand anderem überlassen. Wir müssen es irgendwie vernichten.«
»Wir haben nicht die notwendigen Ressourcen, um es in Schach zu halten oder zu beherrschen«, widersprach Mara.
»Selbstverständlich nicht.« Carlos griff hinter sich und schloss die Türen zum Salon, bevor er an uns vorbei die Treppe hinunterging. Die Kraft, die er ausstrahlte, ließ mich taumeln.
Mara führte mich hinunter. Ich fühlte mich benebelt und schwindelig. Der kalte Schmerz in meiner Brust war zurückgekehrt.
Als wir das Foyer erreicht hatten, fragte ich: »Gehen wir?«
»Ja.«
Ich nickte unsicher, denn ich war so schwach, dass ich mich nur noch hinlegen und wimmern wollte.
Wir gingen zum Parkplatz, wo mich Mara auf den Beifahrersitz meines Wagens verfrachtete. Ich wartete, während sie zurückging und der Kuratorin Bescheid sagte. Der kühle Nieselregen hatte mich wieder etwas belebt und die Nachtluft den letzten Hauch des Gestanks, den das Instrument ausgestrahlt hatte, von mir geblasen.
Nach einigen Minuten kehrte Mara zu mir zurück und sah mich besorgt an. »Alles in Ordnung, Harper?«
Ich nickte und atmete langsam ein und aus, um mein Abendessen dort zu behalten, wo es hingehörte.
Sie sah auf ihre Uhr. »Wir müssen uns beeilen. Ich muss morgen früh unterrichten. Also«, fügte sie hinzu und wandte sich an Carlos, der sich inzwischen wieder zu uns gesellt hatte. »Erzählen Sie uns, was Sie herausgefunden haben.«
Carlos faltete die Hände und begann mit tiefer Stimme zu sprechen. Der Nieselregen schien ihn kaum zu berühren.
»Es handelt sich tatsächlich um ein nekromantisches Artefakt. Dem Ganzen ist ein viel älterer Kern hinzugefügt worden, der sich hinter dem Spiegel und der Verkleidung befindet.«
»Das alte Holz«, murmelte ich.
Carlos nickte. »Eine Kiste. In die Verzierung sind Knochen und Zähne eingearbeitet worden, sodass die Substanz des Toten gleichzeitig einen Teil des Instruments bildet.«
»Wie bitte?«, fragte ich angewidert.
Er grinste hämisch. »In nekromantische Artefakte sind meist sowohl Teile des Körpers als auch der Seele eines Verstorbenen eingearbeitet. Der Wiedergänger kann somit von demjenigen befehligt werden, der das Artefakt samt seinen sterblichen Überresten kontrolliert. Eine Tür in der Konstruktion erlaubt es dem Geist, ein- und auszugehen – je nachdem, was ihm befohlen wird.«
»Könnte der Spiegel diese Tür sein?«, wollte ich wissen.
»Ja. Aber die Tür ist zur Zeit geschlossen und der Geist ist entkommen, weil sein letzter Meister entweder nicht aufgepasst hat oder hilflos war. Dann wurde
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