Greywalker
die Erste. Aber ich weiß, dass ich nicht verrückt bin – und ich hoffe, dass Sie das auch nicht glauben. Aber Sie müssen sich entscheiden und den ersten Schritt tun, sonst brauchen wir gar nicht erst anzufangen. Ich hoffe, dass Sie sich wieder melden, irgendwie sind Sie mir nämlich sympathisch.«
Ich schnaubte. »Das hat mir schon lange niemand mehr gesagt. Danke.«
Albert folgte mir schwebend bis zum Gartentor, wo er stehen blieb und langsam verblasste, während ich davon fuhr.
Acht
Am Freitagvormittag gab ich mir alle Mühe, die befremdliche Unterhaltung vom Abend vorher für den Moment zu vergessen und mich stattdessen in meine Arbeit zu vertiefen. Da wusste ich genau, was ich zu tun hatte und konnte mich völlig darauf konzentrieren, sodass ich nicht mehr unerwartet in diese sonderbaren Welten rutschen konnte … Das hoffte ich jedenfalls. Die lauernden Schatten verließen mich zwar nicht ganz, blieben aber auf Distanz und waren somit einfacher zu ignorieren.
Die meisten Namen auf Colleens Liste halfen nicht weiter. Wenn ich mal jemanden telefonisch erreichte, wusste niemand Bescheid, wo Cameron steckte. Seine Verwandten und Freunde hatten ihn in der Regel schon länger nicht mehr gesehen als seine Mutter. Was auch immer ihn dazu veranlasst haben mochte zu verschwinden – der Grund dafür musste wohl bereits vor dem ersten März zu finden sein.
Aber ich hatte auch Glück, denn ich schaffte es, Camerons Mitbewohner dazu zu überreden, sich zwischen zwei Seminaren an der Uni mit mir zum Mittagessen zu treffen.
Richard »RC« Calvin wartete vor einem kleinen griechischen Cafe an der University Avenue auf mich. Er war nicht sehr groß, aber recht muskulös und wirkte ansonsten eher unauffällig. Wir bestellten an der Theke und nahmen dann an einem kleinen Tisch Platz.
Ich legte meinen Notizblock neben meine Kaffeetasse. »Ich weiß, dass Sie glauben, nichts zu wissen. Aber mit Ihrer Hilfe hoffe ich zumindest zu erfahren, wo ich bei meiner Suche ansetzen kann. Wann haben Sie Cameron das letzte Mal gesehen?«
Er rollte mit den Augen, während er nachdachte. »Na ja … das muss irgendwann Ende Februar gewesen sein, glaube ich. Es war wohl ein Donnerstagabend, denn donnerstags sind wir immer beide zu Hause gewesen, weil Cam am Freitag keine Vorlesungen hatte und bis spät in die Nacht auf war. Wenn ich von meiner Abendvorlesung zurückkam, war er eigentlich immer zuhause.«
»Ist er nicht ausgegangen?«
»Oh, doch. Nachdem wir über die Miete, Rechnungen und solche Sachen gesprochen haben, ging er weg. Wissen Sie, es ist merkwürdig, aber bis gerade eben hatte ich ganz vergessen, dass er an diesem Abend meinte, er würde wohl etwas länger fort sein. Ich sollte mir aber keine Sorgen machen. Anscheinend habe ich ihn beim Wort genommen. Ich habe mir nämlich nichts weiter dabei gedacht, bis seine Mutter anrief und sich nach ihm erkundigte. Seltsam, oder?«
»Nicht wirklich. Hatten Sie den Eindruck, dass er seitdem zwischendurch mal in der Wohnung gewesen ist?«
»Ja, ich denke schon. Vor ungefähr zwei Wochen waren plötzlich einige seiner Sachen weg. Ich wollte mir ein Buch von ihm ausleihen und bin also in sein Zimmer – und da war ziemlich viel nicht mehr da. Es fehlten hauptsächlich kleine Dinge wie seine Klamotten und ein paar Bücher, aber auch größere wie sein Laptop. Vieles war aber auch noch da, deswegen dachte ich eigentlich nicht, dass er jetzt ganz abgehauen wäre oder so. Seine große Tasche und den Rucksack hatte er auch mitgenommen. Ich dachte einfach, dass er irgendwo hin verreist war.«
»Und er hat Sie nie angerufen?«
»Nein, wir teilen uns nur die Wohnung, mehr nicht. Wir sind nicht befreundet, denn im Grunde kommen wir aus total verschiedenen Welten, verstehen Sie?«
Ich nickte. »Schien er in letzter Zeit mit etwas beschäftigt zu sein oder war er irgendwie anders als sonst? Haben sich vielleicht seine Gewohnheiten geändert?«
»Na ja, eine Zeit lang dachte ich, dass er eine Freundin hat, denn irgendeine Tussi hat öfter mal bei uns angerufen und er war fast jede Nacht unterwegs. Aber er meinte, das sei seine Schwester, und so habe ich nicht weiter darüber nachgedacht. Dann rief einige Male ein Typ an – immer ziemlich spät nachts, wenn ich gerade ins Bett gehen wollte. Cam war jedesmal zu Hause und hat das Telefon in sein Zimmer mitgenommen. Als ob ich nicht hören sollte, worum es ging. Keine Ahnung, aber vielleicht ist er ja schwul oder so. Nach den zwei
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