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Greywalker

Greywalker

Titel: Greywalker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Richardson
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»Sind Sie bei der Arbeit?«, wollte ich wissen.
    »Nicht ganz, aber in gewisser Weise schon. Hätten Sie um drei Uhr Zeit?«
    »Ich wollte eigentlich noch in die Stadt, um einige Recherchen anzustellen; es könnte also ein bisschen später werden, bis ich ins Büro komme. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn Sie ein paar Minuten warten müssten?«
    »Kein Problem. Bis dann also, und vielen Dank für Ihren Rückruf.« Er legte auf.
    Ich ging zu meinem Rover und stieg ein. Statt mir über Quinton, sein merkwürdiges Verhalten und seine offenbar noch merkwürdigere Arbeit den Kopf zu zerbrechen, versuchte ich mich auf die Aufgaben, die vor mir lagen, zu konzentrieren. Er spielte eben nach anderen Regeln als der Rest von uns.
    Ich bog auf die Schnellstraße ab und fuhr in Richtung Zentrum. Dabei dachte ich fest an meinen Auftrag, meinen Auftrag … aber schlimmer als je zuvor drängten sich mir gespenstische Gebilde auf. Ein kalter Dunst wirbelte durch den Wagen. Als ich die Schnellstraße verließ, fand ich mich in der Geisterstadt vom Tag davor wieder. Ich parkte und machte mich innerlich bebend und mit einem starken Schwindelgefühl daran, mir durch einen dünnen Nebel aus Schattengestalten einen Weg zum Stadtarchiv im Rathaus zu bahnen.
    Ein kalter Wind schien durch mich hindurch zu blasen. Ich zitterte und lehnte mich gegen die Wand des U-Bahnausgangs, um tief durchzuatmen. Einige heruntergekommene Straßenhändler warfen mir schräge Blicke zu. Es war wohl besser, mich rasch aus dem Staub zu machen, ehe sie den Eindruck bekamen, ich würde das Lokalkolorit ihres Viertel verschmutzen.
    Kurz darauf war ich im Archiv, wo anscheinend selbst Geister tödliche Langeweile fürchteten und deshalb hier nicht zu entdecken waren. Ich suchte nach einer Firma namens Ingstrom, die während der letzten fünfundzwanzig Jahre irgendetwas mit Möbeln, Import, Export oder Logistik zu tun gehabt hatte. Die Liste der in Frage kommenden Unternehmen war erfreulich kurz, dafür aber wenig ermutigend: ein Schiffsbauer, ein Immobilienmakler und ein Bäcker. Es gab dafür wesentlich mehr Privatleute mit diesem Nachnamen, da ungefähr ein Fünftel des heutigen Seattle ursprünglich von Norwegern und Schweden besiedelt worden war. Ich ließ mir also die Listen kopieren.
    Als ich endlich alles erledigt hatte, war es bereits Viertel nach drei. Ich machte mich schnell auf den Weg in mein Büro. Obwohl ich Sergeyevs Geld bereits angenommen hatte, konnte ich dafür recht wenig vorweisen. Das wurmte mich. Ich hatte kurz die Papiere durchgesehen, die er mir geschickt hatte, und war gerade eine gute Stunde möglicherweise umsonst im Stadtarchiv gewesen. Vielleicht stammte Ingstrom ja gar nicht aus dieser Gegend. Vielleicht diente Seattle nur als ein Umschlaghafen. Der Kerl konnte das Harmonium von Pullman nach Seattle transportiert haben, damit es dann irgendwohin weiter verfrachtet wurde. Ehrlich gesagt wusste ich ja kaum, was ich mir unter einem Harmonium überhaupt vorzustellen hatte.
    Als ich die Treppe zu meinem Büro hochstieg, fand ich Quinton, der es sich vor meiner Tür auf dem Boden bequem gemacht hatte. Mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, las er eine Taschenbuchausgabe von Tocqueville. Er trug ein Jackett, ein unauffälliges Hemd und eine ganz normale Hose; eine Krawatte war nirgends zu sehen. Ohne mich anzusehen, stand er auf. Er sagte kein Wort, bis er den Abschnitt fertig gelesen und die Seite mit einer abgerissenen Theaterkarte gekennzeichnet hatte. Dann verschwand das Buch in seinem Rucksack.
    »Hi«, begrüßte er mich. »Ich habe schon angefangen, mir Sorgen zu machen. Als ich kam, lungerten zwei ziemlich unangenehm aussehende Typen vor Ihrer Tür herum. Das war so ungefähr vor einer halben Stunde. Sie haben wohl bemerkt, dass ich hier warten wollte, und sind wieder abgezogen. Aber ich habe schon befürchtet, dass sie unten auf Sie warten könnten. Haben Sie die Kerle gesehen?«
    »Nein«, antwortete ich. »Wie sahen sie denn aus?«
    »Der eine wirkte betont unauffällig – sehr beige, sehr langweilig. Sehr unheimlich. Der andere schien heruntergekommener, aber für dieses Viertel ist das ja nichts Ungewöhnliches«, erklärte er, während ich die Tür aufschloss.
    Ich nickte. »Wahrscheinlich sind es die gleichen Typen, die mein Büro durchwühlt haben. Entweder das, oder es ist die Steuerfahndung.«
    Diesmal nickte er. »Dachte ich mir auch – die sahen aus wie Ganoven.«
    Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen ironisch

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