Greywalker
Anrufen hat sich der Typ allerdings nie wieder gemeldet.«
»Wäre es möglich, dass dieser Fremde etwas mit Camerons Verschwinden zu tun hat?«
RC zuckte mit seinen fleischigen Schultern und schob sich eine Gabel voll Souvlaki in den Mund. Er beugte sich über das Essen, als ob er Angst hätte, dass es ihm jemand wegessen könnte. Dann antwortete er mit vollem Mund. »Keine Ahnung. Ich glaube nicht. Cam war um diese Zeit krank und schlief sehr viel. Vielleicht war es ja jemand von der Uni, könnte doch sein, oder? Der Typ klang schon ein bisschen älter, vierzig oder vielleicht fünfzig. Schwer zu sagen, wissen Sie, und mich ist es ja sowieso nichts angegangen.«
»Erinnern Sie sich noch an den Namen des Mannes? Hat er ihn genannt?«
Er nahm einen Schluck Limonade, ehe er antwortete. »Das weiß ich nicht mehr. Ich glaube, er hat ihn einmal erwähnt … Everett oder so. Irgendwas, das sich nach Geld anhörte. Ich kann mich aber nicht mehr genau erinnern.«
»Bitte rufen Sie mich auf jeden Fall an, falls er Ihnen doch wieder einfallen sollte. Sie sagten, dass Cameron krank war. Woher wissen Sie das?«
»Wenn jemand eine ganze Woche lang kotzt, ist das ziemlich eindeutig, oder? Außerdem war er verdammt blass – so käsig, wissen Sie – und irgendwie ausgemergelt. Wenn er nicht ständig über der Toilette gehangen hätte, würde ich auf Drogen getippt haben. Er sah aus wie jemand aus so einem alten Film, der von einer tödlichen Krankheit befallen ist – ganz bleich mit riesigen Augen. Ständig kam ihm alles wieder hoch. Eine Weile hat er überhaupt nichts mehr gegessen, sondern nur Wasser getrunken und eine fürchterlich stinkende Suppe.« Er sah hoch und bemerkte, dass ich meinen Teller noch nicht angerührt hatte.
»Habe ich Ihnen den Appetit verdorben? Tut mir leid. Ich kann mittlerweile alles ertragen, ich studiere nämlich Medizin. Kurz vor seinem Verschwinden machte Cam einen etwas besseren Eindruck, er war aber immer noch verdammt blass.«
»Und Sie sind sich absolut sicher, dass er die Grippe hatte? Hätte es nicht eine andere Krankheit sein können oder doch Drogen?«, hakte ich nach und nahm einen Schluck Kaffee.
Erneut zuckte er mit den Schultern. »Vielleicht war es auch etwas anderes. Hundertprozentig kann ich das nicht sagen. Schließlich bin ich noch kein fertig ausgebildeter Arzt. Aber eine richtige Grippe kann einen ganz schön mitnehmen. Die meisten glauben ja, dass das nur eine harmlose Krankheit ist, aber Grippe kann tödlich sein, verstehen Sie? Außerdem gibt es so etwas wie eine Ein-Tages-Grippe überhaupt nicht. Das ist dann meistens eine milde Form der Lebensmittelvergiftung. Eine richtige Grippe, die rafft ganze Völker dahin. Die Spanische Grippe 1918 tötete Millionen. Und es ist der gleiche Bakterienstamm, der uns auch heute noch über der Schüssel hängen lässt. Erschreckend, was?«
Ich stimmte nickend zu. »Ja, erschreckend. Hat Cameron während seiner Krankheit Besuch gehabt? Vielleicht eine Freundin, irgendwelche Kommilitonen oder so?«
»Nein, niemand. Eine Freundin habe ich, wie gesagt, nie mitbekommen – außer eben der Sache mit der Schwester. Sonst war niemand in der Wohnung, nur einige meiner Freunde und der Vermieter. Und seit Camerons Verschwinden war auch niemand da.« RC schob sich eine letzte Gabel Pilaw-Reis in den Mund und spülte ihn mit einem Schluck Limonade runter. »Mögen Sie Spinakopita nicht?«
Ich schaute auf meinen unberührten Teller. »Doch, eigentlich schon, aber ich habe keinen Hunger. Möchten Sie?« Ich schob ihm den Teller hin.
Er nickte dankend und lud sich die Gabel voll. Ich beobachtete ihn leicht amüsiert und nahm einen Schluck Kaffee. Sein Anblick erinnerte mich an einen Zeitungsartikel, den ich mal gelesen hatte, in dem es hieß, dass Assistenzärzte normalerweise an Unterernährung und Schlafmangel litten. Offensichtlich gedachte Richard Calvin, dem vorzubeugen, ehe sein zukünftiger Beruf die Chance hatte, ihn zu zermürben. Ob er seine freien Tage wohl auch im Bett verbrachte, um auf Vorrat zu schlafen?
»Sie haben also seitdem nichts mehr von Cameron gehört?«
»Nein, kein Wort.«
»Was haben Sie dann mit seinen restlichen Sachen gemacht? Und wie bezahlen Sie die Miete und dergleichen?«
»Seine Mutter hat die Miete und die ausstehenden Rechnungen bezahlt und mich gebeten, seine Sachen zusammenzupacken und in der Wohnung zu lassen, bis er zurückkommt. In der Zwischenzeit suche ich mir einen neuen Mitbewohner – alleine
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