Greywalker
Körper erahnen. Es würde sich bestimmt lohnen, den mal in Bewegung zu erleben. Sein schiefes Lächeln entblößte zwei Reihen leicht krummer, sehr weißer Zähne. Ich riss mich gerade noch rechtzeitig zusammen, um nicht in unzusammenhängendes Stottern auszubrechen.
Wie benommen reichte ich ihm die Hand. »Ich bin Harper Blaine. Privatdetektivin.«
Er erwiderte den Händedruck. »William Novak. Freut mich, Sie kennen zu lernen. Wie kann ich Ihnen helfen?« Seine Hand war so groß, dass sie meine ebenfalls nicht gerade kleine Pfote zweimal hätte umfassen können. Ohne Schuhe bin ich eins fünfundsiebzig; es gibt also nicht viele Männer, die auf mich herunter sehen können – und es gibt noch weniger, bei denen ich nichts dagegen habe.
Ich schluckte. »Ich versuche ein Harmonium ausfindig zu machen, das in den späten siebziger oder den frühen achtziger Jahren in den Besitz von Ingstrom gekommen sein könnte. Ist vielleicht eins im Katalog gelistet?«
»So ein Schrott aus dem frühen 20. Jahrhundert? Mit Schnörkeln und kaputten Pfeifen? Normalerweise würde ich mit dem größten Vergnügen erklären: ›Nein, tut mir leid‹, aber in Ihrem Fall wünschte ich, wir hätten eins.«
Ich spürte, wie ich rot wurde. »Es handelt sich um das Erbstück eines Klienten. Könnten Sie mir sagen, ob vielleicht jemand anders etwas darüber weiß? Möglicherweise ist es ja an einem anderen Ort aufbewahrt worden?«
»Vielleicht im Haus, oder es ist bereits privat verkauft worden. Haben Sie schon mit Mrs Ingstrom geredet? Sie könnte Ihnen sicher weiterhelfen. Ich meine natürlich die ältere Mrs Ingstrom.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe noch mit keiner der beiden gesprochen«, antwortete ich.
»Hmm … Ich könnte Sie während der Auktion miteinander bekannt machen. Sie werden doch kommen, oder?«, fügte er mit einem Blick auf das Kärtchen, das aus meiner Tasche hervorlugte, hinzu.
»Ganz bestimmt, ich möchte nämlich bei einigen Objekten mitbieten.«
»Was gefällt Ihnen denn?«
Ich wies über meine Schulter. »Zum Beispiel das heruntergekommene Kabinettschränkchen dort hinten – Nummer 893.«
Er runzelte die Stirn und ging neugierig auf das Stück zu, um es genauer in Augenschein zu nehmen. »Das hier? Ein ziemlich hässliches Ding, oder? Es stammt aus einer Praxis. Früher bewahrten Ärzte ihre Instrumente in solchen Schränkchen auf; das war noch in der guten alten Zeit, bevor es Hygienevorschriften und sterilisierte Apparate gab. Schreckliche Vorstellung, finden Sie nicht? Aber natürlich könnte sich der hässliche Frosch noch als stolzer Prinz entpuppen, wenn Sie erst einmal die Farbe los sind. Vielleicht enthält er ja eine Zehn-Dollar-Münze oder sogar einen Originalzahn von Doc Holliday.« Er zwinkerte amüsiert.
»So wie ich mein Glück kenne, passt sie genau zwischen die Toilette und den Waschtisch. Es ist zugegebenermaßen ein hässliches Schränkchen, aber es … es spricht zu mir.«
»Hat Ihre Mutter Ihnen denn nicht beigebracht, nicht mit Fremden zu reden?«
»Mit Fremden zu sprechen gehört zu meinem Beruf. Je fremder, desto besser.«
Er lachte, und der volle, weiche Klang umhüllte mich wie eine wärmende Decke. Ein Stromstoß des Verlangens lief mir über den Rücken. Seine Augen funkelten und brachten seine kleinen Lachfältchen noch stärker zur Geltung. Wenn ich es mir recht überlegte, war er vermutlich nicht älter als fünfunddreißig oder höchstens vierzig. Und dabei verdammt sexy. Ich musste mich vorsehen.
»Sie sind hier jedenfalls genau richtig, wenn es um Fremdartiges geht.« Er lachte in sich hinein. »Ich werde mit Mrs Ingstrom reden und halte dann morgen nach Ihnen Ausschau. Einverstanden?«
»Gerne. Das wäre nett von Ihnen.«
Er sah mich mit seinem schiefen Lächeln an und schüttelte sich dann. »Ich sollte bei der Sache bleiben und hier alles abschließen. Darf ich Sie noch zur Tür begleiten oder möchten Sie sich lieber allein durch diesen maritimen Dschungel kämpfen?«
Ich errötete erneut. Was war nur los mit mir? »Ich werde den Ausgang schon finden.«
Er grinste. »Dann also bis morgen.«
Ich ging einige Schritte rückwärts, während ich wie eine Idiotin grinste, ehe mein gesunder Menschenverstand wieder die Oberhand gewann und mich daran erinnerte, dass es das Beste wäre, die Augen dorthin zu richten, wohin ich zu gehen gedachte. Ich schlug also den Kragen meiner Jacke hoch, drehte mich um und eilte Richtung Ausgang.
Hinter mir rief Novak: »Hey,
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