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Greywalker

Greywalker

Titel: Greywalker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Richardson
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müssen Sie sich nicht gefallen lassen, wissen Sie?«
    »Wie bitte?«, fragte ich verblüfft und fasste sie am Arm, damit sie stehen blieb. »Glauben Sie etwa, der Typ da hinten schlägt mich?«
    Sie baute sich mit verschränkten Armen vor mir auf. »Schauen Sie sich doch an! Das ganze Gesicht verkratzt, überall blaue Flecken. Natürlich schlägt er Sie … Halten Sie mich etwa für blind? Sie haben etwas Besseres verdient. Damit müssen Sie sich nicht abfinden, verstehen Sie?«
    »Einen Augenblick, bitte«, bat ich sie und suchte nach einer Visitenkarte in meiner Hosentasche. Die hielt ich ihr vor die Nase. »Sehen Sie, ich bin Privatdetektivin. Diese Verletzungen sind berufsbedingt. Dieser Mann hat nichts damit zu tun. Und wenn er es hätte, würde etwas anderes in seinem Schoß landen als nur Bier.«
    Sie starrte auf die Karte und sah mich dann eindringlich an. »Wirklich? Sie versuchen nicht, das Ganze einfach zu vertuschen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ganz ehrlich.«
    Wir sahen einander an, und ihr Mund verzog sich überrascht, doch sie sagte nichts. Erinnerungen hinterlassen ein bestimmtes Licht in den Augen, das so eindeutig sein kann wie verheilte Narben.
    Meine Miene hellte sich etwas auf und ich lächelte. »Wo ist denn nun die Toilette? Ich muss wirklich recht dringend.« Sie zeigte auf eine Tür, und ich ging hinein.
    Dort betrachtete ich mich im Spiegel. Die Quetschungen waren weniger deutlich zu sehen, aber auf meiner linken Wange gab es einen neuen Kratzer. Meine Jacke hatte auch schon bessere Tage gesehen; sie war voller Schmutzflecken. Und meine Haare standen in kleinen Büscheln zu Berge. Ich sah aus wie Ophelia, nachdem sie drei Tage im Fluss getrieben war. Kein Wunder, dass die Frau angenommen hatte, jemand hätte sich an mir vergriffen. Ich hätte vermutlich ähnlich reagiert, wenn sich mir ein solcher Anblick geboten hätte. Also versuchte ich, mich so gut es ging wieder herzurichten, um weniger wie eine tragische Heldin auszusehen.
    Ich kehrte zu unserem Tisch zurück und setzte mich. Vor mir stand ein Teller mit herrlich aussehenden Vorspeisen. Ich verschlang drei auf einen Satz und bemerkte dann, dass Novak mich angrinste.
    »Was ist los?«, wollte ich wissen.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass ein dünnes Hemd wie Sie so viel essen würde.«
    »Es passiert schließlich nicht jeden Tag, dass man fast die Grenze zwischen Leben und Tod überschreitet«, erwiderte ich. »Aber Sie sollten auch loslegen. Schließlich haben Sie diese Antipasti bestellt und gehören auch nicht gerade zu den Moppelchen dieser Welt.«
    »Gut beobachtet, Miss Blaine«, gab er zu und nahm ein paar Happen zu sich.
    Aber ich hatte aufgehört zuzuhören oder auch zu antworten. Der Winkel, in dem der Wagen auf mich zugekommen war, seine Geschwindigkeit … Es war eigentlich überhaupt nicht möglich, dass er mich verpasst hatte. Zumindest hätte er meine Hüfte, mein Bein, meinen Fuß treffen müssen … Ich begann wieder zu zittern und merkte, wie sich die Schwerkraft um mich in Nichts auflöste. Es hatte genieselt und die Luft war leicht abgestanden gewesen und hatte wie der See gerochen. Aber ich war durch den stinkenden Nebel zur Seite gesprungen und wieder im Regen gelandet. Irgendwie war es mir gelungen, mich in das Grau zu flüchten, um dem Auto auszuweichen.
    »Geht es Ihnen gut?«, erkundigte sich Will. »Sie wirken irgendwie abwesend.«
    Ich gab mir einen Ruck. »Ja, danke, es geht mir gut. Ich habe nur … Ich habe nur über einige Dinge nachgedacht.«
    »Über Ihre Arbeit?«
    »Ja.«
    »Und diese Verletzungen – gehören die auch zu Ihrer Arbeit?«
    »Das kann vorkommen, ist aber nicht üblich. Das Meiste, was ich so tue, ist langweilige Büroarbeit.«
    »Stört es Sie, wenn ich trotzdem frage?«
    Der Whiskey, das gemütliche Restaurant und ein Mann, den ich durchaus nicht ungern ansah und der mir zudem schöne Augen machte – all das zusammen brach meinen Widerstand. Ich erzählte ihm ganz einfach, wie ich zu den blauen Flecken gekommen war. Er sah mich entsetzt an.
    »Und Sie behaupten, Ihr Beruf wäre harmlos?«, fragte er ungläubig.
    »Normalerweise schon. Manchmal rastet einfach jemand aus. Sie sagen irgendetwas Falsches und schon geht es los. Da kann man nichts machen. So etwas muss man einschätzen können.«
    Er nickte. »Mein Chef ist in letzter Zeit auch so irrational. Er gerät wegen der geringsten Kleinigkeiten total aus der Fassung.«
    »Zum Beispiel?«
    »Ach, wegen geschäftlicher

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