Grim - Das Erbe des Lichts
über seiner geöffneten Handfläche. »Eines noch, bevor ich in meinen Käfig aus Licht zurückkehre«, flüsterte er und sah Mia mit leicht geneigtem Kopf und einem undurchsichtigen Glanz in den Augen an, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte. »Eines noch, Menschenkind, das einer eurer Dichter einst sagte, John Ashbery ist sein Name.« Mia spürte, wie Grim sie zurückzog, doch sie konnte sich nicht abwenden. Alles, was sie sah, war Verus, und sie hörte seine Worte wie Gedanken in ihrem Kopf:
Vielleicht sieht ein Engel wie all das aus, was wir vergessen haben; ich meine vergessene Dinge, die nicht bekannt dünken, wenn wir ihnen wieder begegnen, verloren jenseits allen Sagens, und die einst die unseren waren.
Kapitel 19
heryon lag in tiefem Schlaf. Sein Körper schien vollkommen genesen, doch er atmete nicht. Grim wusste, dass das kein Grund zur Sorge war: Theryon hatte ihm oft genug erklärt, dass Feen ihre Kräfte auf anderen Wegen erhalten konnten als gewöhnliche Wesen. Er musste lächeln, als er daran dachte, wie der Feenkrieger das Wort
gewöhnlich
in diesem Zusammenhang aussprach: ohne jede Spur von Herablassung und dennoch mit einer Selbstverständlichkeit, die Grim zu Beginn ihrer Freundschaft immer wieder den Zorn in die Wangen getrieben hatte. Inzwischen lächelte Theryon mit leisem Spott, wenn er sein Volk in Grims Gegenwart mit anderen Geschöpfen verglich, und Grims Wut hatte sich längst in milde Gelassenheit verwandelt. Theryon war ein Feenkrieger — bis vor Kurzem der Letzte seines Volkes in dieser Welt.
Vielleicht lag es auch an dieser Tatsache, dass Grim sich ihm verbunden fühlte. Er fuhr sich an die Brust, dunkel flammte die Kluft in seinem Inneren auf. Auch er war schließlich heimatlos zwischen den Welten und einsam, in gewisser Weise — der Einzige seiner Art, abgesehen von Seraphin, seinem Bruder, dem er den Tod gebracht hatte.
Grim bewegte die Schultern und schreckte Remis auf, der schlaftrunken an seinem Mantelkragen gelehnt hatte. Mit müden kleinen Augen schwirrte der Kobold in die Luft und flog zu einem Tisch in Theryons Krankenzimmer, um sich etwas zu trinken zu holen. Das Zimmer war klein und lichtdurchflutet, dünne Vorhänge wehten vor den bis zum Boden reichenden Fenstern im Wind, und an den Wänden neben dem Kamin standen leuchtend rote Bücherregale. Es war still im Raum, Grim hörte seinen eigenen Herzschlag in der tiefen Kühle seines Steinkörpers. Ausatmend schob er seinen Stuhl zurück und erhob sich, um einige Schritte durchs Zimmer zu gehen. Mia hielt Theryons Hand umfasst, ihr Kopf war neben seinem Arm aufs Bett gesunken. Sie schlief. Ihr dunkles Haar lag wie ein Schatten auf dem hellen Laken.
Wenn du dein Versprechen brichst, wirst du verlieren, was du am meisten liebst.
Grim wusste, dass Verus nicht zögern würde, seinen Worten Taten folgen zu lassen, denn in einem hatte er recht: Dämonen von seinem Rang waren keine Lügner. Das hatten sie einfach nicht nötig.
Vorsichtig strich Grim Mia eine Haarsträhne aus der Stirn. Es war nicht oft vorgekommen, dass er in seinem langen Leben ein Versprechen gegeben hatte, und noch nie hatte er eines davon gebrochen. So würde es auch dieses Mal sein. Er schuldete Verus einen Gefallen, und er würde sich nicht widersetzen, wenn der Dämon kam, um ihn einzulösen. Aber wenn Verus auf den Gedanken kommen sollte, ihn hinters Licht zu führen, und Mia auch nur ein Haar krümmte, würde er es für den Rest seines ewigen Lebens bereuen. Der verfluchte Mistkerl würde sich in die grausamen Flammen des Diamantfeuers zurücksehnen, er würde sich geradezu nach ihnen verzehren, denn sie wären für ihn wie ein Urlaub in dämonischen Gefilden verglichen mit dem, was Grim ihm antun würde.
Er kehrte zu seinem Stuhl zurück und betrachtete schweigend Theryons regloses Gesicht. Er hatte keine andere Wahl gehabt, Mia hatte recht: Der Feenkrieger wäre gestorben, wenn er sich nicht auf diesen Handel eingelassen hätte. Grim ließ die Knöchel seiner linken Klaue knacken, während Remis mit einem winzigen Becherchen Koboldtee zu Theryons Bett flog. Der Duft von wilden Brombeeren und Holunderblüten zog durch den Raum. Grim hörte, wie Remis schmatzend einen Schluck trank, und zog die Brauen zusammen, um sich mit aller Wut, die in ihm war, auf die Schneekönigin zu konzentrieren. Es musste eine Möglichkeit geben, sie zu bezwingen — und wenn sie noch so winzig war.
Als hätte er seine Gedanken gehört, öffnete Theryon
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