Grim - Das Erbe des Lichts
flackerte auf wie eine Flamme im Sturm, dann bildete sich ein Gesicht heraus, das Mia kaum erkennen konnte, so schemenhaft war es.
»Grim, alter Freund«, klang eine samtweiche Stimme aus dem Stein. »Welch freudige Überraschung! Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns so schnell wiedersehen. Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs?«
Mia sah, dass Grim in Gedanken mit dem Dämon sprach, doch dieser wollte von Geheimniskrämerei offenbar nichts wissen.
»Nun«, sagte er gedehnt, als Grim geendet hatte. »Meine Hilfe ist kostbar — und wie alles Kostbare ist sie vor allem eines noch dazu: teuer. Doch lass uns später über Vergütungen sprechen. Zunächst wirst du mich aus diesem Kerker holen, denn selbst wenn mir dank deiner großzügigen Bezahlung die Qualen des Feuers erlassen wurden, ist es doch ein wenig — nun ja, sagen wir: eng.«
Remis zuckte sichtlich zusammen und schwirrte in einem Wahnsinnstempo auf Mias Schulter. Grim achtete nicht darauf. Mit zusammengezogenen Brauen murmelte er etwas, doch nichts als ein fröhliches Lachen war die Antwort.
»Du bist zu mir gekommen«, erwiderte der Dämon, und Mia konnte hören, dass er lächelte. »Also spielst du nach meinen Regeln. Keine Sorge: Die verfluchten Diamanten an der Wand werden mich schon daran hindern, dein armseliges Leben zu beenden. Oder fürchtest du dich, mir ohne alchemistische Beschützer gegenüberzustehen, mir, einem alten ... Freund?«
Grim zögerte und Mia rechnete schon damit, dass er sich umdrehen und sie fortschicken würde. Tatsächlich hob er den Blick und sah sie an. Entschlossen schüttelte sie den Kopf, während Remis beinahe eilfertig in die Luft flog, um sich auf den Weg zur Tür zu machen. Grims Miene verfinsterte sich, doch als Theryon schmerzerfüllt aufschrie, wandte er sich wieder dem Dämon zu. Er schloss die Augen, murmelte den Zauber — und wurde wie von einem unsichtbaren Hieb mit voller Wucht gegen die geschlossene Tür geschleudert. Mia wich zurück, als goldener Nebel aus dem zerbrochenen Diamanten drang, und Remis krallte seinen Finger so fest in ihre Schulter, dass es wehtat. Mit einem Summen entfachten die Diamanten an den Wanden ihre Kraft, die freigesetzte Dämonenmagie hatte sie geweckt. Mit grellen Lichtern brannten sie ein Pentagramm in den Boden. Mia sah grüne, schwarze und rote Lichter und nahm den rauchigen Gestank von verbrennendem Stein wahr. Sie erschrak, als mehrere Explosionen goldene Funkenregen in den Raum schossen. Geblendet fuhr sie zurück und spürte Grims Klaue beruhigend kalt auf ihrer freien Schulter. Sie wollte sich ihm zuwenden, doch in diesem Moment verdichtete sich der Nebel über dem Diamanten, und eine Gestalt schob sich aus dem Licht, wie Mia sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Auf den ersten Blick glaubte sie, einem Engel gegenüberzustehen, einem Engel mit goldener Haut und geschlossenen Augen, einem Engel ohne Flügel, aber mit einem Lächeln, das Welten in Brand setzen konnte. Sein Licht war so strahlend, dass es eigentlich ein Schatten war: Es verdrängte jede Vorstellung von Helligkeit, die Mia besaß. Sie versuchte, seine Gestalt zu erfassen, doch ihr Verstand hatte keine Chance. Es gab keine Vergleiche mehr, keine Erinnerungen, mit denen sie dieses Wesen hätte begreifen können. Es war, als hätte sie nie etwas anderes gesehen als ihn, und mehr noch: als wäre es vollkommen gleichgültig, ob sie jemals wieder etwas sah, nun, da sie ihn betrachtet hatte. Sie spürte, dass das, was sie sah, nicht erschaubar war — zwar konnte sie das Gesicht des Dämons beschreiben, seine seidene Haut, seine grazile Gestalt und das sanfte Lächeln auf den schön geschwungenen Lippen. Sie spürte auch die Wärme der Sonnenstrahlen, die aus seinem weichen Haar drang, und sah die feingliedrigen, marmorgleichen Hände mit den zarten Fingern. Und doch sah sie ihn nicht. Das, was er war, lag in einem Bereich des Verborgenen, der nur erfühlbar war, der alle Sinne durchströmte und über sie hinausging, bis Mia glaubte, sie wäre ganz und gar in der Gestalt des Dämons aufgegangen. Sie sah sein Lächeln und wusste, dass er sie erkannt hatte — bis in die dunkelsten Tiefen ihres Selbst. Es war ihr gleichgültig, mehr noch, sie wollte ihm noch mehr von sich sagen, er sollte alles, alles von ihr wissen. Gerade wollte sie sich von Grims Klaue lösen, als der Dämon die Augen öffnete.
Mia wich zurück, ihr Atem wurde aus ihrem Körper gepresst wie unter einer tonnenschweren Last. Sie schaute dem
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