Grim - Das Erbe des Lichts
Mia sprang vor, sie war über ihren Feinden, ehe diese auf die Beine kamen. Blitzschnell zog sie schwarze Schnüre um deren Körper und schickte Eisregen durch ihre Adern. Sie spürte, wie das Leben aus ihnen wich, fühlte, wie das Blut in ihren Leibern gefror und ihre Augen dumpf und farblos wurden. Sie hörte das Keuchen kaum hinter sich, als Theryon den zweiten Panther mit einer Feuerschleife abwehrte und ihm dabei den Kopf vom Körper trennte. Der Reiter flog durch die Luft, er landete knapp neben Mia, doch schon war Theryon bei ihm und schickte einen heftigen Hitzezauber durch seinen Körper, der ihn auf der Stelle verkohlte.
Schwer atmend beendete Mia ihren Zauber und spürte erst da, dass goldene Funken auf sie niederfielen. Sie schaute zum Himmel auf. Grim riss seine Gegner noch einmal in die Luft. Dann schleuderte er sie zu Boden, wo sie mit dumpfem Geräusch aufkamen, und landete schwingenrauschend neben Mia. Sie fiel ihm in die Arme. Sein Herz schlug heftig gegen ihre Wange. Er hatte seine Kraft verbraucht, das spürte sie, und auch sie selbst hatte nicht mehr viel davon übrig. Hustend stob Remis aus Grims Tasche. Seine Haare standen von seinem Kopf ab wie die zu lang geratenen Borsten einer Wurzelbürste.
»Sind sie tot?«, fragte Mia und warf einen Blick auf Alvarhas, dessen Körper mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden lag. Seine Glieder waren verdreht, und sein Kopf lag seltsam flach auf der gefrorenen Erde. Schwarzes Blut rann unter ihm hervor. Theryon war zu ihm hinübergegangen, nachdem er auch seine Gefährten kurz untersucht hatte. Er hielt die Hand über Alvarhas Kopf, für einen Augenblick verzog sich sein Gesicht wie unter Schmerzen. Dann nickte er.
»Das ist nur eine Frage der Zeit«, grollte Grim düster. »Wir müssen verschwinden, sonst ...«
Da zerriss ein Stöhnen die Stille. Erschrocken fuhr Mia herum und sah Asmael, der inzwischen beinahe völlig von dem schwarzen Netz bedeckt wurde. Theryon ließ sich neben ihn fallen. Sein Gesicht zeigte keine Regung, aber in seinen Augen war es Nacht geworden. Erst einmal hatte Mia diesen Ausdruck in Theryons Augen gesehen — vor wenigen Tagen, als er selbst im Sterben gelegen hatte. Atemlos sah sie zu, wie der Feenkrieger sich die Ärmel hochkrempelte und mit lautloser Geste dreimal über seinen linken Unterarm strich. Blut rann aus dem Schnitt, den er sich zugefügt hatte, schwarzes Feenblut. Mia schauderte, als Theryon mit der rechten Hand über Asmaels Hals strich und auch dort eine Wunde aufklaffte. Schnell presste der Feenkrieger seinen Arm gegen den Riss und legte den Kopf in den Nacken.
Mia stand regungslos. Sie hörte Remis' angespannten Atem und spürte Grims Klaue auf ihrer Schulter. Er schwankte leicht, so viel Kraft hatte ihn der Kampf gegen Alvarhas gekostet. Sie sah, wie das Blut aus Theryons Körper wich, und bemerkte gleichzeitig, dass das schwarze Netz begann, sich, von der Wunde ausgehend, golden zu verfärben und langsam in Asmaels Körper einzusinken. Sie lächelte atemlos, als sie den Herzschlag wahrnahm: Zuerst waren es zwei Herztöne, die das Feld zum Beben brachten, dann nur noch einer. In dumpfen, ruhiger werdenden Klängen durchzog er die Nacht. Theryon verwandelte den Fluch, den der Panther auf Asmael gelegt hatte. Er schenkte ihm sein eigenes Blut, und dafür bekam er ein wenig vom Blut seines Freundes. Mia sah Theryon ins Gesicht, sie schaute in seine Augen. Und zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, sah sie, wie sich etwas darin spiegelte: Die Sterne des Nachthimmels lagen in seinem Blick.
»Reizend.«
Die Stimme packte Mia an der Kehle und drückte zu. Sie fuhr herum, ebenso wie die anderen — und stieß einen Schrei aus, als sie Alvarhas vor sich sah. Graue Nebelfäden zogen über seinen Körper, Mia hörte das knackende Geräusch der sich in rasender Geschwindigkeit regenerierenden Knochen, und sie sah mit Grauen, wie sich der zertrümmerte Schädel des Albs mit leisem Knirschen wieder zusammenfügte. Auch sein Panther kam auf die Beine, und aus den Schatten des Feldes kamen die Schergen heran, als wären die vergangenen Augenblicke gar nicht geschehen. Mia fühlte sich, als würde sie rücklings eine Häuserschlucht hinabfallen, ohne sich umwenden oder schreien zu können. Sie hatte erlebt, wie die Alben im Kampf gegen die Schattenflügler im Louvre scheinbar mühelos ihre Verletzungen geheilt hatten, und Grim hatte ihr von den Fähigkeiten der Alben erzählt, den Tod bezwingen zu können — aber nun, da
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