Grim - Das Erbe des Lichts
reglosen Albengesicht.
»Ihr mischt euch in Dinge ein, die euch nichts angehen«, erwiderte Alvarhas kalt. »Das kann die Königin des Schnees nicht dulden. Aus diesem Grund bat sie mich, dafür zu sorgen, dass ihr unschädlich gemacht werdet. Und selbstverständlich werde ich ihrer Bitte nachkommen.« Er wandte sich von Grim ab und fixierte Mia mit seinem Blick. »Ich habe viele Augen gesehen in meinem langen Leben«, flüsterte er und hob langsam die Hand, um Mias Wange zu berühren. »Aber ein Paar wie deines fehlt noch in meiner Sammlung.«
Ehe seine Finger ihre Haut erreichten, stieß Grim seine Faust vor und schlug sie krachend gegen Alvarhas' Brustkorb. Der Alb flog durch die Luft und landete rücklings vor dem Altar. Sofort sprang er auf die Beine und stürzte mit wutverzerrtem Gesicht auf Grim zu, der schnell einen Schutzwall um Mia, Remis und sich selbst errichtete. Alvarhas riss sein Rapier in die Höhe. Grim sah noch das schwarze Funkeln, ehe es auf seinen Schild niederkrachte und ihn splitternd in zwei Hälften teilte. Im nächsten Moment hatte der Alb ihn an der Kehle gepackt und raste mit ihm durch die Luft. Mit voller Wucht schlugen sie gegen das Rosettenfenster, Grim fühlte die Scherben des Bleiglases von seinem Körper abprallen wie Funken aus Licht. Eiseskälte drang durch Alvarhas' Hände und machte es Grim schwer, seine Magie zu sammeln. Verschwommen sah er Mia und Remis, die sich rücklings zum Altar schoben. Die Panther glitten ihnen wie todbringende Schatten hinterher. Grim riss den Blick von ihnen fort und starrte Alvarhas in sein gesundes Auge.
»Verflucht«, zischte Grim und zwang die Kälte aus seinem Körper. »Das ist es, was du bist!«
Damit riss er den Arm hoch und presste den Daumen in Alvarhas' Auge. Goldene Flammen schossen aus Grims Klaue, der Alb schrie auf vor Schmerz und raste rücklings durch die Luft. Grim fiel zu Boden, seine Klauen hinterließen einen Abdruck im Stein. Keuchend raste er auf Mia zu, doch schon stürzte Alvarhas ihm nach. Sein gesundes Auge loderte in goldenem Licht, eine stechend schwarze Pupille starrte ihn an. Wie die Erinnerung an einen Albtraum sah Grim seinen Feind für einen Moment wieder als nebelumwobenes Skelett inmitten der eigenen Asche sitzen. Er riss einen Schutzwall in die Höhe, doch er wusste, dass er Alvarhas nicht aufhalten konnte. Dieser Alb würde von den Toten zurückkehren, er würde ihn umbringen, wenn er nicht ...
Ein ohrenbetäubender Knall schleuderte Grim den Gang hinauf. Gesteinsbrocken flogen ihm um die Ohren, er rappelte sich benommen auf — und erstarrte. Die Hälfte der Südfront der Kirche war verschwunden, ebenso Teile des Dachs, durch die nun die Sterne ihr Licht auf die matt glänzenden Katzenkörper warfen, die verwirrt die Köpfe reckten. Alvarhas lag unter einem tonnenschweren Säulenstück begraben, sein Brustkorb war zerschmettert, aber Grim wusste, dass er sich schon bald wieder erheben würde. Er wandte den Blick — und in dem Riss in der Wand schwebte — in silbernem Licht wie ein Blitz vor dem Himmel der Nacht — ein riesiger Hippogryph.
Feine silberne Federn bedeckten seinen Adlerkopf, und seine Vogelklauen waren so groß, dass sie mit Leichtigkeit die Brust eines erwachsenen Mannes hätten umfassen können. Sein Hinterleib jedoch war der eines weißen Pferds, und sein Schweif peitschte wie ein seidener Schleier durch die Luft. Grim erkannte Theryon auf seinem Rücken. Der Feenkrieger trug seine schwarze Uniform aus Brokat, sein Haar wehte im Wind. Dann stieß der Hippogryph einen Schrei aus, zog die Beine an den Körper — und schoss direkt auf Mia zu.
Die Panther sprangen fauchend zurück, als Theryon Mia und Remis zu sich hinaufzog. Der Hippogryph fuhr herum, flügelschlagend kam er vor Grim zum Stehen, bäumte sich auf den Hinterbeinen auf und schlug mit den gewaltigen Adlerklauen durch die Luft. Seine Augen waren aus Kristall, Grim sah goldene Funken darin wie entfachte Flammen, und er begriff, dass dieser Hippogryph mit seinem Blick durch alle Masken der Welt blicken konnte, ohne auch nur einmal zu zwinkern.
Alvarhas' Schrei riss Grim in die Wirklichkeit zurück. Er packte Theryons Arm und schwang sich auf den Rücken des Hippogryphen.
»Es hat ein wenig länger gedauert«, sagte Theryon beiläufig, als sie durch den Riss in der Wand davonstoben, ohne Alvarhas auch nur eines Blickes zu würdigen, der gerade die Säule von seinem noch halb zerschmetterten Körper stemmte.
»Ein wenig ...«,
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