Grim - Das Erbe des Lichts
sie es in dieser Ausprägung mit eigenen Augen sah, stockte ihr der Atem. »Wie ist das möglich?«, flüsterte sie fassungslos.
Alvarhas verzog den Mund, sein Kiefer knirschte unter seinem Lächeln, als würde er noch einmal zerbrechen. Im nächsten Moment sah sie seinen Schatten auf sich zurasen. Grim sprang Alvarhas in den Weg, doch der Alb schlug ihm mit aller Heftigkeit vor die Brust und schleuderte ihn durch die Luft. Dann packte Alvarhas Mia an der Kehle und riss sie hoch. Sein Gesicht war ihr ganz nah, sie fühlte seinen Atem kalt und betäubend auf ihren Lippen wie bei ihrer ersten Begegnung.
»Menschenkind«, flüsterte er beinahe zärtlich, während er ihr die Kraft nahm. »Hast du es denn vergessen?« Er hielt kurz inne, kalte Grausamkeit glitt über seine Züge. »Alles ist möglich — eines Tages.«
Da schrie Mia, sie schrie so laut, dass ihre Stimme sich überschlug und die Luft ihre Brust zerriss wie ein flatterndes Stück Papier. Alvarhas lachte in ihren Schrei hinein. Sie fühlte die Kälte seiner Hand an ihrer Kehle, ihre Stimme versagte und fiel wie ein lebloser Stein zurück in den tiefen Brunnen, der sie geworden war. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie die Panther auf Asmael zustürzten und ihn umkreisten, sah auch, wie Theryon von den Schergen Alvarhas' bedrängt wurde. Graue Schleier glitten an ihren Augen vorüber, der Alb hatte ihr die letzte Kraft genommen. Nur ein winziger Rest ihrer Magie hielt sie noch bei Bewusstsein. Da zerriss ein Brüllen die Luft. Sie hörte das Brechen von Knochen. Im nächsten Moment war sie frei und schlug mit dem Rücken auf dem Boden auf. Sie sah Grim, der mit Alvarhas über das Feld flog, sie überschlugen sich mehrfach und sprangen in einiger Entfernung auseinander.
Mia kam auf die Beine. Sofort landete Remis auf ihrer Schulter und starrte angespannt zu Grim hinüber. Alvarhas bewegte sich mühelos und geschmeidig wie eine seiner Katzen und trat mit lauernder Grausamkeit auf Grim zu. Grim hingegen schwankte leicht, Mia sah das Blut, das aus seinem Mund lief. Er konnte keinen Zauber mehr wirken, und wenn er es dennoch versuchte, würde er sterben. Sie begann zu rennen und rief ihre Magie, doch Alvarhas hatte ihr kaum etwas davon gelassen. Panisch sah sie, wie er die Hand hob, Grim im Nacken packte und Kälteschauer in dessen Körper schickte.
»Mia!«, rief Remis auf ihrer Schulter in heilloser Angst. »Er wird ihn umbringen!«
Außer sich wandte sie im Lauf den Blick zu Theryon, doch Alvarhas' Schergen hatten ihn in einen Kampf verwickelt. Da durchdrang seine Stimme ihre Gedanken, flüsternd und sanft.
Alles Böse kann auch zum Guten genutzt werden, nicht wahr?
Mia griff sich an die Brust, dorthin, wo die Scherbe der Schneekönigin danach gierte, ihr Herz zu erreichen, um sie zu töten.
Feenmagie übertrifft seit jeher die Macht gewöhnlicher Magie.
Mia holte tief Atem. Sie konnte Feenmagie wirken. Kaum hatte sie das gedacht, murmelte sie auch schon den Zauber.
Ströme aus Eiswasser flossen durch ihre Adern, kaum dass der Zauber über ihre Lippen gekommen war, und sie spürte, wie ihre Magie in ihrer Brust durch die Scherbe fuhr und zu einem flackernden Strom aus Farben wurde. Sie hob den Arm, ihr Körper zitterte von der Kraft des Zaubers, der sich in ihrer Hand sammelte. Sie spürte Grims Herz, für einen Moment meinte sie, seinen Atem an ihrem Haar zu fühlen. Dann stieß sie einen Schrei aus. Krachend schlugen weiß glühende Flammen aus ihren Fingern, sie verwandelten sich in Speere aus Feuer und Eis. Die Wucht der Magie warf sie auf den Rücken, doch sie sah, wie ein weißer Speer auf Alvarhas zuraste und mit knirschendem Geräusch zwischen seinen Schulterblättern in seinen Körper eindrang. Der Alb schrie auf vor Schmerz, schwarze Blitze schossen aus seinen Fingern und zuckten unkontrolliert über den Himmel. Seine Schergen und die Panther wurden ebenfalls von Mias Zauber getroffen, auch in ihre Körper bohrten sich die Speere aus Feenlicht bis zu ihren Herzen.
Mia taumelte vor, ein schrecklicher Schmerz zerriss ihren Brustkorb. Remis schwirrte in die Luft, besorgt sah er sie an, doch er konnte ihr nicht helfen. Die Scherbe schob sich voran, das wusste sie — aber sie würde noch nicht sterben. Nein, sie würde Grim erreichen und dieses Feld verlassen, und dann würde sie den Krieger des Lichts finden und die Welt der Menschen vor dem Untergang bewahren. Das war ihr Plan — und sie hasste es, einen Plan zu ändern.
Entschlossen presste sie
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