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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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fühlte er die Müdigkeit hundertfach verstärkt in seinen Schläfen, und der Riss in seiner Brust rief sich mit grausamer Kälte in Erinnerung. Aber ihm blieb keine Wahl: Auch die Menschen Irlands würden sich vermutlich über einen wandelnden Steinriesen in ihrer Hauptstadt wundern. Und so musste er seine Maske anlegen, die ihnen vorgaukelte, dass er ein Mensch wäre wie sie — er, der in Wahrheit doch nichts anderes war als ein untalentierter Tänzer auf dem Seil zwischen den Welten.
    Remis schüttelte sich einige Male. Der Kobold sah zerzaust aus wie eine aufgeplusterte Kohlmeise, aber in seinen Wangen glühte das Feuer des Abenteuers, in das sie sich begeben hatten. Er holte noch einmal tief Luft, dann verschwand er in Grims Manteltasche. Theryon zog eine Sonnenbrille aus seiner Tasche und überzog seine durchscheinende Haut mit einem magischen Film aus vornehmer Blässe. Grim musste lächeln. In diesem Aufzug wäre der Feenkrieger in der Welt der Menschen ohne Weiteres als verrückter Künstler durchgegangen. Wortlos erwiderte Theryon Grims Lächeln und trat hinaus auf eine der belebten Gassen Temple Bars.
    Unzählige Kneipen und Bars reihten sich aneinander, Menschen standen trotz der Kälte in kleinen Grüppchen vor den Türen, Straßenkünstler musizierten in den Hauseingängen, und auch aus den Fenstern der Pubs drang Musik, so lebhaft und leidenschaftlich, dass Grim fast meinte, sie sehen zu können. Er hatte erwartet, zumindest Anspannung in den Gesichtern der Menschen zu erkennen in Anbetracht der rätselhaften Veränderungen, die ihre Welt durchlief, doch stattdessen fand er nichts als flirrende Erwartung angesichts des Unbekannten, die sich unter dem Mantel scheinbar alltäglicher Gespräche und Gesten verbarg. Neugierige Blicke trafen ihn, doch die meisten glitten sofort weiter zu Theryon, der sich hocherhobenen Hauptes durch die Menge schob und schließlich vor einem winzigen Pub stehen blieb. Die hölzerne Tür hing etwas schief in den Angeln, und überhaupt wirkte das Haus, als wäre es an der rechten Seite in weichem Sand eingesunken. Aus hutzeligen Fenstern schaute es auf Grim herab und schien mit seiner kleinen rot bemalten Tür zu lächeln.
    Ohne zu zögern trat Theryon ein, und Grim roch ihn sofort — diesen eigentümlichen Duft aus abgestandener Luft, Alkohol und freundlichen Gesichtern, durchzogen von farbenfroher, unbeschwerter Musik. Hölzerne Bänke standen in den Nischen eines von massiven Balken gehaltenen Raumes, auf einer kleinen Bühne musizierte ein Akkordeonspieler. Menschen saßen und standen an rustikalen Eichentischen, ihre Stimmen hüllten den Raum in einen Kokon der Gemütlichkeit, als wäre in den vergangenen Tagen nichts Außergewöhnliches in der Welt passiert oder als würde dieses Unerklärliche in der Gemeinschaft seinen Schrecken verlieren und zu einem rätselhaft-schönen Wunder werden, das noch keiner Erklärung bedurfte. Beiläufig hoben einige die Köpfe, schauten zur Tür, als ob sie Freunde erwarteten — und lächelten Grim und den anderen herzlich zu.
    Langsam schob Grim sich hinter Mia und Theryon durch den Raum auf den Tresen zu. Noch nie war er auf diese Weise von Menschen angesehen worden. Es schien ihm, als würden sie durch seine Maske schauen, nicht forschend und kühl, sondern mit der absichtslosen Neugier eines Kindes, um dahinter zu erkennen, was er wirklich war, ihm freundlich zuzunicken und mit einem Lächeln zu sagen:
Es hat lange gedauert, dass du gekommen bist. Setz dich, wer oder was auch immer du sein magst. Du bist willkommen.
Er spürte, wie sich ein Lächeln auf seine Lippen legte. Die Kälte und Erschöpfung der Reise flogen davon, und stattdessen legte sich ein heller Schleier aus Wärme über den Riss in seiner Brust und gab ihm ein Gefühl, das er selten zuvor in seinem Leben gespürt hatte: ein Gefühl wie nach Hause kommen.
    Während Theryon am Tresen mit der rotwangigen Barfrau sprach und sie bat, den Besitzer des Pubs zu holen, beendete der Akkordeonspieler sein Lied. Das Gemurmel der Menschen wurde von freundlichem Beifall unterbrochen, ehe ein Ton den Raum durchdrang. Zitternd wie ein schwacher Lichtstrahl flackerte er über die Köpfe der Anwesenden, und als Grim den Blick wandte, sah er einen Mann mit grauen, wirr vom Kopf abstehenden Haaren, der in einem einfachen schwarzen Anzug steckte und auf einer Geige spielend durch die Menge trat. Lachfältchen hatten sich um seine außergewöhnlich blauen Augen gebildet, über denen die

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