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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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Brauen sich im Takt in die Höhe schoben, und ein goldener Ring zierte sein rechtes Ohr. Die Hose seines Anzugs war ein wenig zu kurz und ließ leuchtend grüne Socken sehen. Die Menschen lachten, als sie ihn sahen, und begrüßten ihn mit seinem Namen, den Grim erst verstand, als der Geiger ihn wiederholte.
    »Tomkin, mein Name«, rief er und verbeugte sich mit weit von sich gestrecktem Instrument, ehe er mit dem Spielen fortfuhr, um seine Worte mit einigen Strichen auf der Geige zu untermalen. »Nennt mich Zauberkünstler, Barde, Geschichtenerzähler — wundert euch, staunt und phantasiert! Seht in mir den Magier, den Narren, den Hütchenspieler, und merkt nicht einmal, wie ich euch den Sand aus den Augen spiele! Die Welt ist im Wandel, ihr habt es längst bemerkt, auch wenn ihr es euch nicht erklären könnt!«
    Grim stockte der Atem, als Tomkin sich durch die Menge auf ihn zubewegte, er sah die gespannten Gesichter der Menschen, die den Barden beobachteten, und spürte Tomkins Blick eindringlich auf sich ruhen.
    »Wunder sind gekommen«, flüsterte der Barde und zog seinen Bogen so sanft über die Saiten, dass die Musik wie ein Seufzen klang. »Nicht alle von euch können sie sehen, wie sie wirklich sind — aber sie sind da, waren es immer schon — waren uns immer schon ganz nah. Oder irre ich mich?«
    Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, als er Grim ansah, als erwartete er eine Antwort, und ein wissender Funke flammte in seinen Augen auf, wie Grim es bislang nur einmal erlebt hatte. Die Stimme eines kleinen Pfarrers klang in ihm wider, die Stimme seines Freundes Monsieur Pite, den er als erstes menschliches Wesen in sein Herz geschlossen und vor langer Zeit verloren hatte. Monsieur Pite hatte Grim erkannt, er hatte gefühlt, was Grim war, ohne ihn zu sehen — und dieser Barde betrachtete ihn mit demselben Blick. Kaum merklich schüttelte Grim den Kopf, und der Barde schenkte ihm ein Lächeln voller Wärme, ehe er sich abwandte.
    »Ich bringe euch Lieder«, sang er und ließ Grim an jene Geschichtenerzähler der Ersten Zeit denken, die auf der Suche nach Geschichten die Welt der Menschen bereist und sogar die Anderwelt erkundet hatten — lange vor dem Zauber des Vergessens war das gewesen. »Ich erzähle euch von Wundern, von denen ihr nichts ahnt, ich verpacke sie in Verse, Geschichten und Balladen — wenn ihr mir zuhören wollt, teile ich sie mit euch!«
    Grim sah die Erwartung in den Gesichtern der Zuhörer, er fühlte selbst den Zauber, den Tomkins Worte über ihnen ausgeschüttet hatten. Eifrig nickten sie und forderten ihn auf fortzufahren, woraufhin er ergeben den Kopf neigte.
    »So hört nun ein Gedicht«, sagte er und räusperte sich. »Es stammt aus lang vergessener Zeit, und da es nicht von mir ist, reimt es sich sogar. Ein berühmter Dichter hat es einst geschrieben, sein Name — sein wahrer, selbst gewählter Name — war Novalis.« Tomkin holte tief Atem, ehe er den Bogen an die Geige legte und erst leise, dann immer durchdringender sang:
»Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen,

Wenn die, so singen oder küssen,

Mehr als die Tiefgelehrten wissen,

Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurückbegeben,

Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu wahrer Klarheit werden gatten,

Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.«
    Grim hielt den Atem an, die Worte, die Tomkin mit seiner Stimme und Musik direkt in sein Innerstes getragen hatte, durchströmten ihn wie Schleier aus Licht. Dieser Barde war ein Zauberer, ohne dass er auch nur einen Funken Magie gewirkt hatte — das war Grim klar, und als die Menschen ihm Beifall zollten und Remis hingegeben in seiner Tasche seufzte, lächelte er.
    Gerade fuhr Tomkin mit seinem Vortrag fort, als Theryon Grim am Arm fasste. Vor dem Feenkrieger stand ein Mann von ungewöhnlich geringer Körpergröße. Sein massiver Körper war in eine samtene Joppe mit silbernen Knöpfen gehüllt, darunter trug er ein weites Fischerhemd und eine derbe Cordhose. Sein lockiges, blondes Haar fiel auf seine Schultern hinab, und sein Bart reichte bis zu seinem dicken Bauch. Grim hustete, als er erkannte, dass er keinen Menschen vor sich hatte, sondern einen Zwerg. Auf einmal drang Tomkins Gesang nur noch wie durch Watte an sein Ohr. Der Zwerg starrte ihn aus aufgerissenen grünen Augen an. Grim seufzte leise. Irgendwo hatte er einmal

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