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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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flüsterte Carven und sah sich mit großen Augen um.
    Grim nickte düster. »Jedes Märchen hat seine Finsternis«, murmelte er. »Wir müssen vorsichtig sein.«
    Hortensius wandte wachsam den Blick. »Er hat recht. Dieser Wald ist kein gewöhnlicher Wald.«
    Wortlos legte Grim einen mit doppeltem Bannzauber gestärkten Schutzwall um sie.
    »Wie in einer meiner Geschichten«, sagte Carven, strich über den knorrigen Ast eines meterdicken Baumes und starrte ins Unterholz, als würde er dort mehr erkennen als undurchdringliche Finsternis. Gedankenverloren streckte er die Hand aus und erschuf den kleinen Drachen aus Nebel. Dieser streckte sich wie eine Katze, schlug den Schwanz um seinen Körper und schaute mit Carven in die Dunkelheit. »Jeden Moment könnte ein Monster durchs Unterholz brechen. Ein Drache oder ...«
    Grim schnaubte verächtlich. Schlimm genug, dass er in Eiseskälte in einem ihm fremden Wald herumstehen und warten musste, bis die dämlichen Dryaden aufhörten, an ihn zu denken — er hatte nicht vor, darüber hinaus auch noch den Phantasien eines Kindes zuzuhören, das den Ernst der Lage nicht begriffen hatte. »Die Drachen haben diese Welt verlassen«, grollte er mit finsterer Miene. Gleichzeitig wandten Carven und der Nebeldrache die Köpfe, und ein Schatten legte sich auf ihre Züge, der verteufelt nach Enttäuschung aussah. Doch gleich darauf zuckte Carven unbekümmert mit den Schultern. »Dann eben ein Löwe oder ein dreiköpfiger Stier oder ...«
    »... oder ein muffeliger Hybrid in Gargoylegestalt«, flötete Remis, ohne Grim anzusehen, und zwinkerte Carven zu.
    Der Junge lachte leise, als Grim die Arme vor der Brust verschränkte und düster den Kopf schüttelte.
    »Das Monster springt also aus der Dunkelheit«, fuhr Carven unbeirrt fort und zog die Arme an den Körper, um den Gang eines offensichtlich betrunkenen Untiers nachzuahmen. Grim verdrehte die Augen, doch sowohl Remis als auch Hortensius schauten den Jungen mit großen Kulleraugen an, als hätten sie nie zuvor in ihrem Leben etwas Spannenderes gesehen. »Sein Atem ist gelb, genauso wie seine Zähne, und es hat lange Krallen und borstiges Fell, und jetzt will es fressen, ja, es hat das Dorf der Menschen schon gewittert. Doch da springt der Held vor, er schwingt sein Schwert, furchtlos stellt er sich dem Ungeheuer entgegen, pariert dessen Hiebe und — zack! — durchbohrt er das Herz des Monsters mit einem einzigen Stich!«
    Carven war außer Atem. Er hatte seine Worte mit erstaunlichen Kampfbewegungen choreographiert, das musste Grim ihm lassen, und nun hielt er den Arm emporgerissen, als hätte er tatsächlich eine Waffe geführt, und starrte in das Nichts über seiner Faust — dorthin, wo in seiner Phantasie der Kopf des Untiers sein musste. Grim hatte schon den Mund geöffnet, um etwas zu sagen, als ein Lachen seine Brust durchdrang — ein lautloser, nur für ihn hörbarer Ton aus den Tiefen seines Inneren. Es war das Lachen eines Kindes, das Lachen des Jungen, der in Bythorsuls See versunken war und der nun mitunter auf der anderen Seite seines Abgrunds stand und nachdenklich zu ihm herüberschaute. Genau genommen hatte Grim ihn erstmals auf der anderen Seite gesehen, seit Carven in seiner Nähe war — Carven, das Menschenkind, das ihn an sein eigenes Menschenherz erinnerte und ihm gleichzeitig die Kluft in seiner Brust fortwährend ins Bewusstsein rief.
Du trägst eine Zerrissenheit in dir, die du nicht aushältst! Deine menschliche Seite wird der Anderwelt in deinem Inneren immer fremd bleiben, und deswegen lehnst du sie ab, wann immer es dir möglich ist!
    Unwillig drängte Grim Mias Stimme beiseite, räusperte sich und zerbrach Carvens Konzentration. Verlegen ließ der Junge die Hand sinken und rieb sich den Arm, mit dem er gerade noch ein Schwert gehalten hatte.
    »Offensichtlich wurdest du in Kampfkunst unterrichtet«, stellte Grim fest und warf Hortensius einen Blick zu, der mit stolzem Funkeln in den Augen nickte. »Das mag uns noch von Nutzen sein, denn in der Anderwelt weiß man nie, wann man derartige Fertigkeiten einmal braucht. Aber eines steht fest: Wir haben keine Zeit für Kinderkram und Märchen, und nichts anderes sind diese Geschichten von funkelnden Schwertern und unheimlichen Monstern — und natürlich von Helden, allesamt mit der Kraft und dem Mut von zehntausend Männern.« Er schüttelte den Kopf, doch sein spöttisches Lachen blieb ihm im Hals stecken, als er Carven ansah. Der Junge hielt noch immer

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