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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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nicht die Zeit für Angst und Zweifel.
    Schnell legte sie die Hand gegen die Tür, schloss die Augen und schickte ihre Magie durch den Raum, der dahinter lag. Sie spürte, wie ihr Zauber gegen ein Bett stieß, gegen Stühle und Ketten aus Metall. Die Flammen eines Feuers ließen ihre Magie leise flackern, sie fühlte es wie ein Nervenzucken unter der Haut. Da berührte ihr Zauber einen Körper. Es war ein Mensch. Vorsichtig ließ Mia die Magie über das Wesen gleiten, ein Gesicht bildete sich in den Schleiern, die sie vor ihrem geistigen Auge sah.
    Jakob,
flüsterte sie in Gedanken.
    Kaum hatte der Name sich in ihrem Kopf geformt, riss ihr Bruder im Abbild ihres Zaubers die Augen auf. Erstaunen stand in seinem Gesicht — und Furcht. Schnell zog Mia ihre Magie zurück. Jakob war nicht allein.
    »Dein Blut ist eine Symphonie«, sagte eine kalte, kindliche Stimme, ehe Mia Theryon hätte warnen können.
    Der Feenkrieger riss abrupt den Kopf hoch. Witternd wie ein Tier schob er sich näher an die Tür und lauschte. Mia beobachtete ihn angespannt. Sie sah ein Bild in Theryons Augen auftauchen, das Bild eines Kindes, das kein Mensch war. Risse liefen tief und schwarz über das schneeweiße Antlitz, und die tümpelgrünen Augen betrachteten ihren Bruder mit einer seltsamen Mischung aus Verachtung und Gier.
    Nahyd.
    Mia ließ sich von Theryon hinter einen Sockel ziehen, auf dem gerade die Statue eines Fauns erschaffen wurde. Ihr Herz schlug schmerzhaft gegen ihre Rippen. Nahyd, der Totensänger. Mia erinnerte sich an das verlangende Funkeln in seinem Blick, als er Jakob auf den Balkon der Schneekönigin geführt hatte, und sie hörte die Worte der Fee in ihren Gedanken wie die Atemzüge einer Sterbenden.
In der kommenden Nacht werde ich ein Fest zu seinen Ehren geben.
Leise drang Nahyds Stimme an Mias Ohr, kaum mehr als ein Flüstern und doch schneidend genug, um ihr das Blut aus dem Kopf zu ziehen.
    »Lange ist es her, dass ich einen Sterblichen verkosten durfte«, sagte Nahyd, und Mia sah ihn vor sich, wie er den breiten Mund zu einem Lächeln verzog und seine winzigen Kinderhände in grausamer Gleichgültigkeit faltete. »Es wird mir eine Freude sein, dessen sei gewiss, und ich werde mich bemühen, dich so lange wie möglich bei Bewusstsein zu halten. Immerhin ist es ein besonderer Abend für dich. Welcher Mensch erlebt schon einen Tod wie diesen?«
    Er lachte wie ein Kind, und Mia spürte, dass ihr übel wurde. Theryon legte eine Hand auf ihre Schulter, ein sanfter Wärmeschauer durchzog ihren Körper.
    Geduld,
hörte sie seine Stimme.
    Langsam nickte sie, doch ihre Muskeln waren so angespannt, dass sie meinte, sie müssten zerreißen.
Ich werde mich bei dir bedanken.
Die Schneekönigin hatte Jakob ein Versprechen gegeben, und Nahyd würde es einlösen. Er würde Jakob töten, er würde ihn fressen — bei lebendigem Leib. Sie hörte ein Flüstern, dicht gefolgt von einem verächtlichen Schnauben.
    »Du wirst lernen, was Verzweiflung bedeutet«, sagte Nahyd kalt. Auf einmal hatte seine Stimme jede Leidenschaft verloren. »Das habe ich dir versprochen, erinnerst du dich?
Du wirst lernen, was Einsamkeit ist und Tod, du wirst herausfinden, wie weit ein Mensch auf dem Pfad der Dunkelheit wandeln kann, ohne den Verstand zu verlieren. Du wirst erfahren, was Furcht ist und Finsternis — und ich werde es dich lehren.
Ja, das sagte ich zu dir.« Nahyd hielt inne, und für einen Moment sah Mia ihn als Mann vor sich, als grausamen, alten Mann mit stechend grünen Augen und einem Gesicht, das der letzte Anblick für zahlreiche Unschuldige gewesen war. »Und ich habe mein Versprechen gehalten.«
    Mit diesen Worten fuhr er herum, Mia hörte das Rascheln von schwerem Stoff und Schritte, die sich auf die Tür zubewegten, ehe diese mit einem Ruck geöffnet wurde. Atemlos duckte sie sich hinter dem Sockel, und Theryon sandte einen mächtigen Zauber in seine Faust. Doch Nahyd bemerkte sie nicht. Mit seltsam verhärtetem Ausdruck im Gesicht verschloss er die Tür hinter sich mit einem Zauber und schritt in die andere Richtung des Ganges davon.
    Erst als seine Schritte vollständig verklungen waren, schob Theryon sich aus ihrem Versteck. Mia folgte ihm, doch ihre Knie waren weich, und sie brauchte einen Augenblick, ehe sie die Stimme des Totensängers aus ihrem Körper vertrieben hatte. Dann trat sie auf die Tür zu.
    Theryon sah sie an, ruhig und abwartend wie in einer ihrer Übungsstunden, und sie wusste, dass sie die Tür selbst öffnen

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