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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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musste. Sie holte tief Atem und legte die Hand auf das Schloss. Mit leisem Knacken brach sie es auf magische Weise und öffnete die Tür.
    Theryon schob sie ins Zimmer, die Tür fiel hinter ihnen zu, doch Mia hörte es kaum. Wie angewurzelt stand sie da und starrte auf eine Säule aus schwarzem Onyx. Dornen stachen aus dem Stein, der von rotem Feuerglanz überzogen wurde, und sie bohrten sich in Jakobs Rücken, der aufrecht an die Säule gefesselt worden war. Er trug nichts als eine weite schwarze Stoffhose. Sein Kopf war ihm auf die Brust gesunken, Blut lief über seine Haut, und die Schnüre, mit denen er gefesselt worden war, hatten sich in sein Fleisch gefressen wie Stacheldraht in den Stamm eines wachsenden Baumes.
    Mia tat einen Schritt auf Jakob zu, ein heiserer Laut drang aus ihrer Kehle. Sie hörte, wie Theryon die Tür hinter ihnen mit einem Schutzzauber sicherte, aber sie sah nichts mehr als ihren Bruder, der nun langsam den Kopf hob. Sein Gesicht war aschfahl wie das eines Toten, seine Lippen schienen blutleer, und seine Haut wurde von feinen Rissen bedeckt wie gesprungenes Eis. Seine Augen waren schwarz, doch als er Mia erkannte, wallte die Dunkelheit in ihnen auf. Eine gewaltige blaue Welle umflutete seine Pupillen und riss die Schwärze mit sich, bis ein Glitzern durch Jakobs Augen ging und als kristallene Träne über seine Wange lief.
    Mia,
formten seine Lippen ihren Namen, und als hätte dieses Wort einen Bann von ihr genommen, setzte sie sich in Bewegung und lief zu ihm. Mit schnellen Bewegungen löste sie die Fesseln und fiel ihrem Bruder in die Arme. Er war dünn geworden, schrecklich dünn, und er klammerte sich an sie wie ein Ertrinkender. Sie spürte seinen Herzschlag nicht, sie wusste, dass er weder tot war noch lebendig, sondern untot — heimatlos zwischen den Welten. Aber sie fühlte sein weiches Haar an ihrer Stirn, und für einen Moment wurde jeder Zweifel, jede Angst von einem einzigen Gedanken überdeckt, ein Gedanke, den sie seit seinem Verschwinden unzählige Male herbeigesehnt und gleichzeitig wie Hohngelächter in ihrer Traurigkeit empfunden hatte und der nun, flügelrauschend wie ein unsterblicher Phönix, auf ihren Schultern landete: Jakob war wieder da.
    Sie wusste nicht, wie lange sie so gestanden hatten, bis Jakob sich von ihr löste. Theryon half ihm, sich aufrecht zu halten, allein hätte er nicht stehen können. Eilig schickte Mia Heilungszauber durch seinen Körper.
    »Du bist da«, flüsterte Jakob. Noch immer lag in seinem Blick ungläubiges Staunen, und er streckte die Hand aus, um Mias Wange zu berühren, als fürchtete er, dass sie nichts sei als eine Illusion aus Licht. »Das hätte ich nicht für möglich gehalten.«
    Sie ergriff seine Hand. »Du weißt doch«, erwiderte sie leise. »Alles ist möglich — eines Tages. Hast du das etwa vergessen?«
    Er sah sie an, etwas wie Erinnerung flackerte in seinen Augen auf, und eine seltsame Anspannung legte sich auf sein Gesicht. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen — und fuhr mit heftigem Stöhnen zusammen. Erschrocken griff Mia nach seinem Arm und verhinderte einen Sturz, doch Jakob keuchte, beide Hände an seine Kehle gelegt, als bekäme er keine Luft mehr, und sank zu Boden. Sein Körper zuckte unkontrolliert, in rasender Geschwindigkeit zog ein Geflecht aus blauen Adern über seine Haut. Seine Knochen knackten, als würden sie auseinandergerissen, und er stieß einen markerschütternden Schmerzensschrei aus.
    »Jakob!«
    Hilflos ließ Mia sich neben ihm fallen und umfasste sein Gesicht mit beiden Händen. Seine Augenlider flatterten, seine Finger krallten sich in ihre Arme. Dann lag er still. Atemlos beugte sie sich über ihn, doch da riss er die Augen auf — schwarze, kalte Totenaugen, und aus der Finsternis seines Blicks tauchte ein Gesicht auf: das Gesicht der Schneekönigin.
    »Ich sehe euch«, flüsterte Jakob, doch es war die Stimme der Königin, die über seine Lippen kam. Mit einem Stöhnen griff er sich an die Brust — dorthin, wo sich gerade etwas Spitzes durch seine Haut drückte.
    Da legte Theryon ihm die Hand auf die Augen und murmelte etwas. Mia sah, wie sich die Scherbe in Jakobs Körper zurückzog, und sie fühlte den doppelten Tarnzauber, den Theryon über sie gelegt hatte. Der Feenkrieger nahm seine Hände von Jakobs Augen, der in reglose Ohnmacht gefallen war, sprang auf die Beine und hob seinen einstigen Schützling auf.
    »Ich habe uns für kurze Zeit vor ihr versteckt«, sagte er kaum

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