Grim - Das Erbe des Lichts
Jägers. Für einen Moment umfasste er Grim und die anderen mit seinem Blick. »Folgt mir«, raunte er leise.
Dann riss er den Kopf herum und sprang mit einem gewaltigen Satz in die Finsternis des Waldes.
Ohne zu zögern, setzte sich Hortensius in Bewegung. Niemals hätte Grim gedacht, dass der Zwerg so schnell rennen konnte. Er selbst duckte sich vor plötzlich in der Dunkelheit auftauchenden Ästen und Zweigen und behielt Larvyns Umrisse im Auge, der gemeinsam mit seinen Gefährten in einiger Entfernung vor ihnen durch die Nacht brach. Grim bemerkte, dass der Wald sich unter Larvyns Schritten wandelte. Sträucher wichen vor ihnen zurück, Bäume hoben die Äste, um ihren Weg nicht zu behindern, und sogar die Nebel der Dryaden, die noch immer vereinzelt im Unterholz lauerten, hielten Abstand, sodass Grim im Laufen die silbrig glitzernde Rinde mancher Bäume und das fluoreszierende Moos auf den Steinen sehen konnte. Er witterte. Carvens Fährte lag in der Luft wie ein unsichtbares Band aus Düften.
Gib mir den Jungen. Meine Herrin wartet nicht gern.
Was, wenn sie Carven etwas angetan hatten? Grim ballte die Klauen. Die ganze Zeit über hatte er damit gerechnet, dass die Alben Carven im Auftrag der Königin töten würden, aber das hätte Alvarhas gleich in Dramdyas Hütte erledigen können. Nein, die Herrscherin der Feen wollte den Jungen lebend, so viel stand fest. Doch aus welchem Grund?
Am Rand einer kleinen Lichtung blieb Larvyn stehen. Seine Elfen versammelten sich in der Dunkelheit zwischen den Bäumen und zogen ihre Lichter in sich zusammen, sodass sie Glühwürmchen zum Verwechseln ähnlich sahen. Grim hielt den Atem an, und da hörte er sie auch: die Stimme von Alvarhas. Gleich darauf erreichte er Larvyn und duckte sich neben Hortensius hinter einem Busch. Vorsichtig spähte er zu den Alben hinüber, die auf der Lichtung um ein schwarzes Feuer saßen. Sie hatten Carven die Arme auf den Rücken gebunden und einen Bannzauber auf seine Stirn gelegt, aber offensichtlich rechneten sie nicht damit, dass er ihnen gefährlich werden würde, denn der Zauber war schwach genug, um ihn bei Bewusstsein zu halten. Alvarhas hielt ein Kaninchen in den Händen, Grim roch das Blut, das ihm über die Finger lief. Der Alb hatte das Tier getötet — deswegen hatte Carven geschrien.
»Bist du etwa ein Angsthase?«, fragte Alvarhas gerade, doch seine Stimme klang bei Weitem nicht so abfällig, wie seine Worte es hätten vermuten lassen. »Dieses Tier hatte ein schnelles, schmerzfreies Ende, und wir haben Hunger. Wovon sollen wir uns ernähren, während die verfluchten Elfen uns in diesem Wald gefangen halten?« Er hielt kurz inne und lächelte vertraulich. »Ich weiß nicht, was für ein Bild du von uns hast. Aber wir haben nicht vor, dir ein Leid zuzufügen. Im Gegenteil — wir bieten dir die Chance auf ein anderes Leben — ein Leben als mächtiger, freier Mensch.«
Carvens Augen wurden dunkel vor Verachtung, und Grim spürte ein seltsames Gefühl in der Magengegend. Verwirrt fuhr er sich an die Brust. War es möglich, dass er stolz auf den Jungen war?
Alvarhas bereitete mit geübten Handgriffen das Kaninchen zum Braten vor. Er schien sich die größte Mühe zu geben, der ganzen Szene einen Charakter von Pfadfinderlager und Camping zu verleihen. Seine Schergen saßen regungslos wie Statuen um das Feuer, keiner von ihnen schaute den Jungen an. Sie waren zu zwölft. Grim warf Larvyn einen Blick zu. Der Hirsch verschmolz trotz seiner goldenen Färbung fast vollständig mit seiner Umgebung. Nur seine Augen waren noch sichtbar, funkelnd und wachsam. Grim biss sich auf die Lippe. Alle Wachsamkeit würde dem König der Elfen nicht helfen — gegen die Schattenalben würde auch er nichts ausrichten können.
»Sie haben dich vergessen«, sagte Alvarhas und zerriss Grims Gedanken. »Die Menschen. Du warst nie mehr als ein dünner kleiner Kerl aus einer sozial schwachen Familie. Sie hätten sich nicht darum geschert, wenn irgendein Liebhaber deiner Mutter oder einer deiner zahlreichen Stiefväter dich totgeprügelt hätte — und jetzt riskierst du dein Leben für sie? Du wärst besser damit beraten, dich auf unsere Seite zu schlagen. Ich weiß, dass du das willst — die eine, die dunkle Seite in dir. Sie spricht zu mir, weißt du das? Und sie erzählt mir von jener Nacht, da sie ihre Macht zum ersten Mal spürte. Du weißt, welche Nacht ich meine, nicht wahr? Du weißt es ... Du hast ihn getötet, und du hast es genossen.
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