Grim - Das Erbe des Lichts
Rosenranken wichen auseinander. Wie in einem plötzlichen Windstoß stoben die Blätter davon und ließen nichts zurück als wirbelnde Asche.
Grim hörte Carvens eilige Schritte auf dem Weg. Schnell legte der Junge seine Hände auf die Rosenranken, die Grim gefangen hielten. Die Dornen stachen Carven ins Fleisch, aber dort, wo sein Blut den Ast berührte, wurde dieser golden. Und als hätte Carven einen Zauber gesprochen, wichen die Ranken vor Grim zurück.
Hortensius kam auf die Beine, auch Remis wurde befreit und schaute staunend auf den Rosengarten, der sich langsam — ausgehend von der Ranke, die Carven berührt hatte — in pures Gold verwandelte. Leise raschelnd zogen sich die Pflanzen zurück und gaben einen breiten Weg frei, an dessen Ende sich ein schimmerndes schwarzes Portal im Stein des Berges befand. Ein Windhauch zog durch die Blätter, als Carven den ersten Schritt darauf zutrat, und Grim hörte sie deutlich, die Stimmen der Rosen, die den Jungen begrüßten.
Willkommen,
raunten sie in rätselhaftem Flüstern.
Willkommen im Rosengarten, Krieger des Lichts.
»So«, sagte Hortensius mit einem erleichterten Seufzen. »Das hätten wir geschafft. Es war ...«
Da packte Grim den Zwerg am Kragen und zog ihn so dicht vor sein Gesicht, dass er die Verästelungen in dessen Iris erkennen konnte. »Du hast unser aller Leben riskiert«, grollte er dunkel. »Was zur Hölle noch eins hat es mit diesem Garten auf sich? Du sagtest, dass er zum geheimsten Ort der Zwergenwelt führt — was bedeutet das? Was ist das für ein Portal? Und, zum Teufel, was ist das Reich hinter den Felsen?«
Hortensius schlug ihm so heftig gegen die Brust, dass Grim ihn fallen ließ wie einen Felsklumpen. »Ich hätte euch nichts verraten dürfen«, sagte der Zwerg mit einem Anflug von Empörung in den Augen. »Aber jetzt ...« Er hielt kurz inne und schien nachzudenken. »Der Rosengarten ist mehr als eine Legende.«
Grim stieß die Luft aus. »Was du nicht sagst! Und ich dachte, die Dornen und der Kampf gerade waren nur ein Traum.«
Der Zwerg schüttelte den Kopf, als hätte er Grims Worte gar nicht gehört. »Ich erzählte euch, dass Laurin den Garten verfluchte, ehe er in die Hände der Menschen geriet — doch das stimmt nur zum Teil. Denn Laurin befreite sich von seinen Häschern und kehrte hierher zurück, um das Volk der Zwerge als König anzuführen. Niemals wieder begegnete er oder einer seiner Nachfahren seither einem Sterblichen, es sei denn, er wollte es so, und auch die Anderwelt hat ihn selten zu Gesicht bekommen. In diesem Punkt ist er Larvyn nicht unähnlich, wenngleich sich die unzähligen Stämme der Elfen selbst verwalten und selten der Einmischung ihres Königs bedürfen. Der König der Zwerge hingegen schickt stets einen seiner Fürsten oder Barone als Vertretung, wenn seine Anwesenheit erforderlich wird, denn er hasst es, seinen Berg zu verlassen — oder seine Hauptstadt, die fremde Wesen nur mit verbundenen Augen jemals betreten durften.« Hortensius fuhr sich über den Bart, langsam und wie in Gedanken. »Unser Weg führt uns nach Svartalfrheim«, raunte er leise. »In das geheime Reich der Zwerge.«
Kapitel 40
ia erwachte von einem stechenden Schmerz in ihrem Nacken. Stöhnend richtete sie sich auf und stellte fest, dass sie sich in einem der Verliese befand, die sie bereits bei ihrem Eindringen in das Schloss gesehen hatte. Jakob hockte neben ihr auf dem Boden, das schwache Licht einer weit entfernten Fackel erhellte sein Gesicht nur schwach.
»Jakob«, flüsterte sie und richtete sich auf. »Geht es dir gut?«
Er wandte sich ihr zu, sie konnte sehen, dass er lächelte. »Wie sollte es anders sein?«, erwiderte er sanft. »Du hast mich doch gerettet, oder etwa nicht?«
Sie erwiderte sein Lächeln, aber die Traurigkeit in seiner Stimme schnürte ihr die Kehle zu. »Habe ich das?«, fragte sie leise.
»Wenn man ein Nichts retten kann«, sagte er. »Denn das bin ich geworden, nicht lebendig, nicht tot. Täte ich einen Schritt in die Zwischenwelt, würde sie mich verschlingen, weil ich bin, was sie ist: ein graues, schattenhaftes Nichts aus Leere und Verzweiflung.« Er holte tief Atem. »Sie haben uns hier gefangen genommen. Sie werden uns töten. Und vorher wird Nahyd ... Er wird ...« Jakob stockte.
Mia sah ihn an, seine Worte schickten Schauer aus Eis über ihre Haut. »Woher kennst du den Totensänger? Was ist dir passiert in der Welt der Feen, dass du so ... anders geworden bist?«
Sie konnte
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