Grim - Das Erbe des Lichts
Feen, deren Worte immerhin von Wut und Rachsucht getragen wurden. Doch die Stimme des Königs war kalt geblieben bei dem, was er gesagt hatte — als wären es Klänge aus einem Grab gewesen und nicht die Gedanken eines lebendigen Wesens.
»Es geht nicht darum, ob ihr ihm vertraut«, sagte Hortensius hartnäckig. Für einen Moment glaubte Grim, dass der König ihm einen Fluch entgegenschleudern würde, doch offensichtlich kannte Hortensius die Regeln genau und hatte sie noch nicht überschritten. »Die Gesetze der Zwerge besagen ...«
»Ich weiß, wie die Gesetze lauten!«, rief der König und ballte die Hand über dem Knauf seiner Axt zur Faust. »Ich habe sie erschaffen, damals, als du den Duft von Feuer und Stein noch nicht einmal erahnen konntest! Aber seither ist viel passiert! Es gibt keine Freundschaft mehr zwischen Zwergen und Menschen! Du bist ein Kind meines Volkes, Hortensius Narrentum! Hast du im Ernst geglaubt, dass ich deine Gedanken nicht gehört hätte, damals, als du nach dem Tod des letzten Kriegers des Lichts zu uns kamst, um dich dem Handwerk der Buchbinderei zu widmen? Glaubst du, ich wüsste nicht, wer Aldrir, der strahlende Held, in Wirklichkeit war?«
Grim sah, wie Hortensius schwankte, doch er wandte den Blick nicht vom König ab, der sich nun langsam erhob und auf den Zwerg zuschritt. Seine Bewegungen waren weich, fast fließend, und erschienen Grim so fremdartig für ein Geschöpf wie einen Zwerg, dass er fröstelte.
Lautlos trat der König dicht vor Hortensius hin. Erstmals sah Grim die feinen Risse, die über seine Wangen liefen — wie langsam abblätternder Putz über einem toten Gesicht. »Er hat uns verraten«, flüsterte König Lir und leckte schnell mit der Zunge über seine Lippen. »Er hat das Erbe Bromdurs in den Dreck gezogen und alles, was Zwerge und Menschen einst verbunden hat. Er hätte nicht gezögert und unser gesamtes Volk auf dem Schlachtfeld der Gier geopfert! Sieh mich nicht an, als würde ich lügen — du weißt, dass ich die Wahrheit spreche! Du hast ihn geschützt, weil er dein Freund war — doch die Freundschaft zwischen Zwergen und Menschen ist vorbei! Sieh, was sie in der Oberwelt tun! Sieh, wie weit sie es gebracht haben in ihrer Unersättlichkeit! Nicht nur wir Zwerge haben uns in die Unterwelt zurückgezogen, nicht nur wir fürchten und verachten die Menschen nach allem, was sie der Anderwelt angetan haben! Hast du die Hetzjagden vergessen, die Todeszonen, die es für Geschöpfe wie uns kurz vor dem Zauber des Vergessens in der Nähe ihrer Siedlungen gab? Sie haben gehasst, was anders war — und sie tun es noch immer! Sieh hin, Hortensius, sieh dir an, was du vor meinen Thron geschleift hast in der Hoffnung, es möge das Schwert Kirgans tragen!«
Blitzartig sprang er vor Carven, der erschrocken zurückwich, doch König Lir griff in seinen Nacken und drehte ihn zu Hortensius um. »Mit dem Schwert Kirgans würde er nicht nur die Macht über die Feen erlangen, sondern auch über das Volk der Zwerge, denn es liegt in seinem Ermessen, gegen wen der Zorn der einst Gefallenen sich richten wird!« Der König schüttelte kaum merklich den Kopf. »Dieser Junge hat Angst. Er wird der Verantwortung des Schwertes nicht gerecht werden. Er ist schwach. Und du, Hortensius ... du bist es auch.«
Grim sah aus dem Augenwinkel, dass Hortensius zurückwich, doch sein Blick hing an Carven. Eine Veränderung ging über das Gesicht des Jungen, eine seltsame Helligkeit schien von innen aus seinem Körper zu brechen und schmolz die Furcht von seinen Zügen wie die Strahlen der Sonne eine Kruste aus Schnee. Mit überraschender Schnelligkeit riss Carven sich los. Er atmete schwer, als er sich vor Hortensius aufbaute, aber in seinem Blick lag ein Feuer, das Grim jede Anspannung von den Schultern brannte. Noch immer war Carven der schmächtige kleine Junge, und doch schien er in diesen Augenblicken zu wachsen. Etwas schimmerte durch ihn hindurch, das größer war als alles, was Grim bisher in ihm erkannt zu haben glaubte.
»Das ist nicht wahr!«, rief Carven mit fester Stimme. Er hatte die Fäuste so fest geballt, dass seine Knöchel weiß hervortraten. »Master Hortensius hat mich aufgenommen, als niemand für mich da war, er hat mir ein Heim gegeben und ist mir ein Vater geworden, weil Ihr mich im Stich gelassen habt! Ja, ich bin ein Mensch, aber mein Platz ist in der Anderwelt — dort, wo meine Kräfte sich erklären lassen, dort, wo mein Zuhause ist! Nicht nur die Menschen
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