Grim - Das Erbe des Lichts
beschrieben ihn als weiser als die ältesten Drachen. Grim kannte nur seinen Namen und die Legenden, die sich um ihn rankten. Dhunr Raz'khad Lir wurde er genannt, und Grim hatte von seinen Kämpfen gegen die Wüstendschinns von Bagdad gehört, von seinem Feldzug ins Reich der Scherben tief unterhalb von Damaskus und seinem Sieg über Homrgur, den Spiegelriesen des Schwarzen Meeres. Wenn diese Geschichten auch nur ansatzweise der Wahrheit entsprachen, verfügte der Zwergenkönig, der dort hinter dem Portal in seinem unterirdischen Reich herrschte, über Mächte, die Grim noch nicht einmal erahnen konnte. Und wenn seine Rosenkrieger bereits mit einem Zwerg so verfuhren, wie sie es mit Hortensius getan hatten, mochte Grim sich lieber nicht ausmalen, wie es ihm als Mensch-Gargoyle-Kombination im Reich dieses Zwergs ergehen würde.
Angespannt sah er zu, wie Hortensius mit raschen Bewegungen magischen Nebel auf dem Portal verteilte. Langsam löste sich der schwarze Stein auf und gab den Weg frei auf einen dahinter liegenden dunklen Gang. Hortensius warf Grim einen Blick zu, als hätte er die Anspannung gespürt, die auf dessen Schultern lag, und lächelte nicht ohne eine Spur von Spott. Dann wandte er sich ab und trat in den Gang. Finster stieß Grim die Luft aus und folgte ihm. Mochte er ein ungutes Gefühl haben oder nicht — niemals würde der Tag kommen, da er vor einem Kerl Schwäche zeigen würde, der ihm noch nicht einmal bis zum Bauchnabel reichte, so viel stand fest!
Die Luft um ihn herum war kühl und bewegte sich wie eine seit langer Zeit zum ersten Mal wieder aufgewühlte Wasseroberfläche. Sanft umschmeichelte sie Grims Gesicht und ließ ihn den Duft uralter Gesteine wahrnehmen, der ihn umgehend ruhiger werden ließ. Remis hockte mit großen Augen auf Carvens Schulter, und Hortensius ging voraus. Der Gang um sie herum war größer als jeder Tunnel Imradols, der Zwergenstadt Dublins, und verfügte über zahlreiche Nebenstollen, die in die oberen Regionen der Felsenburg führten. Der Gang hingegen grub sich beständig weiter abwärts. Grim hörte nichts als das ferne Dröhnen sich bewegender Felsmassen im Erdinneren und vereinzelt einen fallenden Wassertropfen. Mehrfach murmelte Hortensius Worte auf Zwergisch vor sich hin, und jedes Mal flammte an den Wänden des Ganges der Umriss eines Portals auf, das sie durchschritten, um anschließend nur doch wieder in einem der finsteren Gänge zu stehen. Grim glaubte schon, bis in alle Ewigkeit durch beinahe identische Tunnel wandern zu müssen, als es plötzlich heller wurde.
Aus winzigen Rissen im Gestein drang Licht in den Gang, silbern legte es sich auf seinen Körper und beschien eine Rollsteintür, die das Ende des Weges verschloss: Ein heller Stein war von der anderen Seite vor die Öffnung geschoben worden. Grim lauschte und hörte das Murmeln vieler Stimmen, er spürte die Kraft sich magisch bewegender Gegenstände und roch den Duft von Leder und geschmolzenem Metall. Hinter dieser Tür, das wusste er, lag Yphraghur — die Hauptstadt der Zwerge. Lautlos strich Hortensius mit dem Daumen über einen kaum sichtbaren Kreidestrich neben der Tür, woraufhin sich der Felsen schläfrig zur Seite bewegte. Grim holte Atem und spürte, wie sein Herz schneller schlug.
Das Erste, das er wahrnahm, war der Geruch von Feuer, und doch brauchte er einen Moment, um diesen Duft zuordnen zu können. Denn zu den gewöhnlichen Aromen, die Flammen ausströmten, die sich in Metall, Holz oder Stein fraßen, trat ein besonderer Duft von Altertum und Magie, wie ein Wispern aus vergangenen Tagen. Das Feuer, das dort hinter der sich langsam öffnenden Tür loderte, kam aus den Tiefen der Erde, es war eine Ahnung der Ewigkeit, die Grim schaudern ließ. Ungeheure Macht steckte in diesen Flammen, jenen Funken, die bereits die Drachen in ihre Nüstern gesogen haben mussten, und die Zwerge — ja, die Zwerge beherrschten dieses Feuer.
Silbrig-rotes Licht fiel in den Gang, es kroch über Grims Körper, als er Hortensius folgte, und blendete ihn für einen Moment. Er hörte, wie Remis auf Carvens Schulter nach Luft schnappte, und dann sah er es auch: Sie standen am Rand einer gewaltigen Höhle. Erzadern flossen an ihrem Grund durch pechschwarzes Gestein. In der Ferne schossen Lavaströme wie Geysire in die Höhe, und in regelmäßigen Abständen klafften Löcher und Türen in den Felswänden, von denen grünkristallene Gänge wie die Verzweigungen eines Blitzes auf die Hauptstadt der Zwerge
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