Grim - Das Erbe des Lichts
natürlich.«
Mia nickte nachdenklich. Für einen Moment hörte sie wieder die hellen, klaren Schritte hinter sich und fühlte die Kälte, die der Fremde mit dem kristallenen Auge nach ihr ausgesandt hatte.
Ein schrilles Geräusch ließ sie zusammenfahren.
»Entschuldige«, sagte Grim und zog seinen Pieper aus seiner Tasche. Ein Flackern ging über sein Gesicht. »Vraternius«, murmelte er. »Ich muss gehen. Ich werde jemanden schicken, der dich nach Hause begleitet. In Ordnung?«
Mia nickte, gab Grim einen Kuss auf die Wange und sah zu, wie er mit schnellen Schritten den Laden verließ. Nachdenklich wandte sie sich zu Hieronimus um und deutete auf den Spiegel.
»Ich nehme ihn«, sagte sie leise.
Der Waldwicht nickte eifrig und lief einen Gang zu einem antiken Tresen hinab. Mia folgte ihm nachdenklich. Vielleicht hatte Hieronimus recht — nicht nur Grim gingen die schrecklichen Morde nah, und ihre Sehnsucht nach Jakob war durch die Ereignisse auf dem Friedhof gerade erst angefacht worden. Da war es kein Wunder, dass sie durcheinander war und ein magisches Artefakt wie ein Wunschglas mit ihr Katz und Maus spielen konnte. Und dennoch ... Jakobs Schrei ging ihr nach, sie meinte fast, seine Angst selbst zu spüren, und seine Worte klangen so deutlich in ihr wider, als flüsterte er sie ihr ins Ohr.
Etwas Böses sitzt in den Schatten und lauert.
»Da hat der Fremde ja recht behalten«, sagte Hieronimus über die Schulter hinweg und lachte leise.
Verwirrt sah Mia auf. »Welcher Fremde?«
Der Trödler hatte den Tresen erreicht und begann mit raschen Bewegungen, den Spiegel in knisterndes Seidenpapier einzuschlagen. »Nun, der fahrende Händler, der mir den Spiegel überließ. Er meinte gleich, dass dieser Gegenstand wie geschaffen für Sie wäre. Vermutlich hat er bereits in anderen Regionen der Anderwelt von Ihrer Ausstellung gehört. Er scheint viel gereist zu sein, seine Kleidung war über und über mit Staub bedeckt, und diese Stiefel mit den silbernen Absätzen ... Er sah fast aus, als käme er aus einer anderen Welt. Aber vielleicht lag dieser Eindruck auch an der anderen Sache.«
Mia stand da wie erstarrt, denn gerade als der Trödler die letzten Worte sprach, glitt eine unsichtbare Hand zärtlich über ihre Wange. Hieronimus jedoch schien ihre Anspannung als Verständnislosigkeit zu deuten. Mit einem Lächeln hob er den Finger vor sein Gesicht. »Er hatte seltsame Augen«, erklärte der Trödler. »Das linke fehlte ihm, an seiner Stelle saß ein schwarzer Edelstein, und das rechte ... Sein rechtes Auge war gesund, aber außergewöhnlich hell — wie ein geborstener Kristall.«
Kapitel 5
rim stampfte den Gang zu seinem Büro entlang, als wollte er den Granitboden unter seinen Füßen pulverisieren. Er war in Eile. Vraternius hatte ihn gerufen, ohne jedoch Einzelheiten zu nennen — diese Geheimniskrämerei war typisch für den Gnom und eine Eigenart, die Grim regelmäßig an den Rand des Wahnsinns trieb. Wenn es den Alchemisten gelungen war, die Magie des Mörders aus dem Fleisch herauszuziehen, konnte Grim endlich die Verfolgung aufnehmen und diesen Dreckskerl ausfindig machen.
Rechts und links von ihm hockten die gargoylschen Sachbearbeiter der OGP hinter ihren Schreibtischen. Er spürte ihre Blicke und die Hoffnung in ihren Augen, dass endlich Bewegung in den Fall kommen würde. Mit Schwung öffnete er die Tür zu seinem Büro, ließ sie hinter sich zufallen und ging auf das Portal aus schwarzem Marmor zu, hinter dem sich der Alchemistensaal Ghrogonias befand. Er vermied es, das riesige Pinnbrett mit den Bildern der Mordopfer anzusehen, das die gesamte Wand hinter seinem Schreibtisch einnahm, und eilte durch das Portal.
Er gelangte in eine steinerne Halle, deren gewölbte Decke von zwölf Säulen gehalten wurde. Der gesamte Raum war ruß-geschwärzt, über den grauen Schieferboden liefen schwarze und weiße Kreidezeichnungen wie geheimnisvolle Felsmalereien hin, und an den ansonsten kargen Wänden standen lange Reihen von Regalen, auf denen allerlei Zauberutensilien aufgereiht waren: alte Bücher, Pergamentrollen, Glasbehälter mit farbigen Flüssigkeiten, fluoreszierende Pflanzen, magische Steine, funkelnde Diamanten sowie Ketten aus Edelmetallen, hauptsächlich aus Gold und Silber, in verschiedenen Größen. Hier, am sichersten Ort Ghrogonias, mitten im Hauptgebäude der OGP, vollzogen die königlichen Alchemisten ihre großen und kleinen Studien. Dazu zählten Beschwörungen von Geistern,
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