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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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die Menschen sind noch nicht bereit dazu, andere Geschöpfe gleichberechtigt neben sich zu akzeptieren. Daher möchte ich ihnen die Anderwelt zunächst in kleinen Schritten näherbringen — das Innere der Menschen für ihre Wunder empfänglich machen. Man fürchtet nicht, was man kennt, verstehen Sie?«
    Hieronimus nickte, aber nicht so, als würde er ihr recht geben — sondern vielmehr, als betrachtete er ein wissenschaftliches Objekt unter dem Mikroskop seines Zwickers.
    »Sie tragen Hoffnung in sich«, erwiderte er mit einem warmen Lächeln. »Aber Sie sind ganz allein mit einer sehr großen Aufgabe. Woher wissen Sie, ob die Menschen jemals bereit sein werden?«
    Mia senkte den Blick. Plötzlich erschien ihr der Rest des Tranks in dem Becher wie Blut, und sie stellte ihn zurück. »Ich weiß es nicht«, erwiderte sie leise.
    Hieronimus seufzte, als hätte er mit dieser Antwort gerechnet und doch auf eine andere gehofft. »Jaja«, sagte er vor sich hin und deutete auf den Becher. »Dieses Artefakt, wissen Sie, bedeutete den Menschen einst viel. Doch sie haben es vergessen. Wie ist das möglich: etwas zu vergessen, das für so lange Zeit einmal das Schicksal unzähliger Menschen bestimmte?« Er hielt kurz inne und schüttelte den Kopf. »Die Menschen sind Meister, wenn es um das Vergessen geht. Selbst uns haben sie aus ihrem Leben gestrichen — uns, die wir einst wie Brüder für sie waren.«
    Mia wusste von den Legenden um die Kobolde und Waldwichte, sie kannte die Märchen, die noch heute den Kindern in der Menschenwelt erzählt wurden. Niemand dort ahnte, wie eng diese Geschöpfe einst mit den Menschen zusammengelebt hatten, ehe die Menschen andere Wege gegangen waren als die des Friedens und der Freundschaft. »Nicht alle Menschen sind so schlecht wie ihr Ruf«, erwiderte sie, doch Hieronimus lächelte nur.
    »Und was ist mit Ihnen«, wandte der Waldwicht sich an Grim. »Glauben Sie an die Menschen?«
    Mia spürte Grims Blick auf sich ruhen und hörte, wie er die Luft einsog. »Ich glaube, dass es ein schwieriger Weg ist, den Mia geht«, sagte Grim leise. »Vielleicht zu schwierig.«
    Mia schob das Kinn vor. »Das werde ich nie herausfinden, wenn ich es nicht versuche«, erwiderte sie. Grims Zweifel war ihr bekannt, dieser lähmende, kalte Zweifel der Anderwesen an ihrem Volk, aber sie wollte sich nicht von ihm vergiften lassen. Sie würde ihren Weg gehen — als Hartidin.
    Hieronimus nickte gedankenverloren, während er die letzten Tassen und Decken aus der Truhe nahm, und betrachtete Mia unverwandt durch seinen goldenen Zwicker, bis sie den Blick senkte.
    »Da haben wir ihn«, flüsterte Hieronimus im selben Augenblick und zog einen schimmernden Handspiegel aus der Truhe. Er bestand vollständig aus Glas, und seine Fläche war grau wie Nebel. Wortlos hielt der Trödler ihn Mia entgegen.
    Kaum hatte sie ihn in die Hand genommen, zog sich das Grau zurück und zeigte ihr Gesicht.
    »Ja«, raunte Hieronimus und nickte andächtig. »Dieser Spiegel ist etwas Besonderes.«
    Mia hörte, wie die Kobolde heranschwirrten und mit einer Mischung aus Unbehagen und Ehrfurcht auf den Spiegel in ihrer Hand schauten. Grim trat neben sie.
    »Was hat es damit auf sich?«, fragte er, während Hieronimus die Hand nach dem Spiegel ausstreckte und sie sofort wieder zurückzog, als hätte er sich verbrannt.
    Mia betrachtete den Spiegel und spürte gleichzeitig die magische Kraft, die das Artefakt wie ein unsichtbarer Schleier umwehte. Für einen Moment meinte sie, leise Stimmen ihren Namen rufen zu hören, dicht gefolgt von zartem Gelächter, das wie Nieselregen auf ihrer Haut prickelte. Fasziniert strich sie über den Rand des Spiegels.
    »Ein fahrender Händler brachte ihn mir zusammen mit einigen anderen, allerdings wertlosen Dingen«, flüsterte der Trödler, und Mia konnte die Aufregung in seiner Stimme hören. »Die Gnome nennen einen Spiegel von seiner Art Wunschglas. Er führt uns ins Reich der Sehnsucht und Gedanken. Nicht immer begegnen uns schöne Dinge auf dem Grund unserer Wünsche. Wollen Sie es dennoch wagen, ihn auszuprobieren?«
    Mia hob die Schultern. »Warum nicht? Wenn ich den Spiegel ausstellen will, muss ich auch wissen, wie er funktioniert.«
    »Keine Sorge«, sagte Hieronimus, als Grim misstrauisch den Kopf schüttelte. »Es ist ganz ungefährlich — zumindest habe ich noch nichts Gegenteiliges gehört. Kommen Sie, halten Sie den Spiegel vor Ihr Gesicht, genau so, und sagen Sie laut und deutlich das Wort:

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