Grim - Das Erbe des Lichts
ihren Schritten mit einer dünnen Schicht aus Eis. Der Panther verlor das Gleichgewicht und schlug laut fauchend auf dem Dach auf, als Mia das Ende des Tempels erreichte. Ein gewaltiger Abgrund klaffte zwischen ihr und der gegenüberliegenden Kuppel eines Heiligtums. Hinter ihr erhob sich der Panther in die Luft. Mia ließ drei Eisfunken auf die Straße hinabfallen. Dann vereiste sie die Luft zwischen den Gebäuden an zwei Stellen zu schimmernden Schollen und sprang darüber hinweg auf die andere Seite. Atemlos landete sie auf allen vieren und drehte sich auf den Rücken. Der Panther sprang auf sie zu, mit einem Brüllen glitt er über den Abgrund. Da warf Mia die Arme nach vorn und brüllte einen Eiszauber, der in mehreren Blitzen aus ihren Fingern schoss und sich züngelnd um die Schwingen des Panthers legte. Wütend riss er das Maul auf, als er den Halt in der Luft verlor und abwärts-stürzte, doch Mia war noch nicht am Ende. Blitzschnell sprang sie auf und klatschte dreimal in die Hände. Sofort entzündeten sich die drei Funken auf der Straße zu Scheiben aus Eis, die sich in rasender Geschwindigkeit übereinanderschichteten. Fauchend durchschlug der Panther Mias Zauber, die ihn in eine Statue aus Eis verwandelten. Er landete auf dem Boden — und zerbrach donnernd in tausend Stücke.
Schwer atmend ließ Mia sich auf einem schwachen Wirbelwind abwärtsgleiten, bis sie inmitten der Scherben landete. Selbst das Blut der Bestie war zu schwarzem Eis gefroren. Sie fuhr sich über die Augen. Die Zauber hatten sie Kraft gekostet, aber ihr Kampf war noch nicht vorbei. Alvarhas' Lächeln stand ihr vor Augen, und sie ballte die Fäuste, als sie an das Amulett mit dem Bannzauber dachte, das noch immer um seinen Hals lag. Schwankend trat sie über die Scherben ihres Opfers hinweg. Sie musste Jakob und Theryon finden, und dann würde sie Alvarhas zum Kampf fordern, wie sie es sich geschworen hatte. Sie würde ihm diesen verfluchten Zauber abnehmen und ihn zurückschicken in seine Welt des Nichts, und dann ...
Sie hatte das Ende der Gasse fast erreicht, als sie das Scharren hörte, dieses leise, seltsame Knistern, das plötzlich die Luft durchzog wie das Prasseln von Eis auf Steinen. Mia spürte, wie eine unheimliche Kälte sie von hinten anflog. Schneeflocken tanzten an ihren Wangen vorüber. Sie griff nach der Hauswand, als sie das Grollen hörte, das ihr das Blut aus dem Kopf zog, und wandte sich wie in einem schrecklichen Albtraum um.
Vor ihr stand der Panther, doch er war nicht länger ein Wesen aus Fleisch und Blut. Die Scherben hatten seinen Körper wieder zusammengesetzt und bildeten nun einen Leib aus Schatten, Eis — und Zorn. Wie war das möglich? Die Gargoyles mussten sein Herz längst vernichtet und eine derartige Regeneration unmöglich gemacht haben. Irgendetwas hatte ihre Pläne durchkreuzt. Doch was? Atemlos wich Mia vor dem Panther zurück. Rot loderten seine Augen in seinem Gesicht, aus dessen Brüchen grauer Nebel drang, und ehe Mia etwas hätte tun können, riss er das Maul auf und spie ihr einen Sturm aus Eissplittern entgegen. Im nächsten Moment schob sich das Gesicht des Panthers durch den Orkan, eine riesige, hasserfüllte Fratze war es. Mia wollte schreien, doch schon sperrte das Untier das Maul auf und grub seine Zähne tief in ihren Hals. Jeder Ton glitt in ihre Kehle zurück, und der Schmerz wurde so übermächtig, dass ihr schwarz vor Augen wurde. Doch sie verlor nicht das Bewusstsein, im Gegenteil, sie spürte, wie der Panther sie aus ihrem Körper herausriss, ohne sie zu töten, fühlte, wie ihr Leib unsanft auf dem Boden der Gasse aufschlug und wie ihr Bewusstsein in einem nebelhaften Leib von der Bestie durch Schleier aus Seide gezogen wurde.
Ich habe Eure Welt gesehen, eine Welt in rauschenden Tüchern,
ging ihr Tomkins Stimme durch den Kopf. Kaum hatte sie das gedacht, ließ der Panther sie los.
Sie kam mit ihrem Nebelkörper auf weicher, feuchter Erde auf. Etwas Nasses tropfte ihr ins Gesicht, sie spürte eisigen Atem auf ihren Lidern. Erschrocken riss sie die Augen auf und starrte in das halb zerfressene Gesicht des Panthers. Mit einem Schrei kam sie auf die Beine, doch das Untier starrte sie nur aus boshaften Augen an. Maden schoben sich durch sein Fleisch, seine Haut hing in Fetzen von seinem Körper, und seine Gliedmaßen waren unnatürlich verdreht. Ein grelles rotes Licht pulste durch seinen Leib, das sich in seinem Herzen sammelte — sein Herz, das glühend wie ein
Weitere Kostenlose Bücher