Grim - Das Erbe des Lichts
in das Gesicht des Herrschers, es war das Antlitz eines Kindes und gleichzeitig eines sehr alten Mannes, ein Maskengesicht, das nicht wusste, was eine Maske überhaupt war, ein farbiger Schleier über einem Abgrund aus Schwärze und ein Schatten auf einem kristallenen Meer.
»Rhendralor«, sagte sie ehrerbietig und legte die rechte Faust auf die linke Brust. »König der Freien Feen, Herrscher über das Tal Nafrad'ur und alle Kreaturen, die den Schatten die Stirn bieten und keinen von ihnen fürchten.«
Jakob folgte ihrer Geste, und der König nickte leicht, als sie die Hände sinken ließen. »Ich heiße euch in der Welt der Feen willkommen«, sagte er mit sanfter Stimme. »Auch wenn ich nur einen von euch erwartet habe.«
Er schaute Jakob an, es war ein prüfender, kalter Blick, der Mia den Atem stocken ließ. Doch gleich darauf kehrte die Wärme in Rhendralors Augen zurück.
»Du bist einen langen Weg gegangen«, fuhr er an Jakob gewandt fort. »Du hast deinen Geist in die Welt der Feen verbannt, um dem endgültigen Tod zu entgehen, und begabst dich auf die Suche nach der Fee, die dir dein Leben zurückgeben konnte — jene Fee, die als Königin über dieses Reich herrschte. Sie hätte dich freigeben und dir eine Rückkehr in die Welt der Menschen, eine Rückkehr ins Leben gewähren können. Doch nun ist sie tot. Dein Schicksal ist an diese Welt gebunden, hier gehörst du hin. Daher hat dich der Fluch Bromdurs wie die Feen in dieses Reich zurückgetragen.«
Mia spürte die Kälte, die bei diesen Worten über ihre Haut kroch, und sie sog atemlos die Luft ein. Sofort wandte Rhendralor den Blick und sah sie an.
»Mia«, sagte er, und ihr Name floss über seine Lippen wie kostbarer Wein. »Deine Augen sind wie ein Sturm aus grünen Farben, und wie ein Sturm bist auch du unbeugbar. Du hast dich geweigert, deinen Bruder gehen zu lassen, und bist daher wie er hierher entführt worden. Nach den Gesetzen des Feenvolkes gehört ihr nun beide in diese Welt und dürft sie niemals mehr verlassen. Ihr habt für die Menschen gekämpft, ihr habt gesiegt — und jetzt werdet ihr im Reich der Feen bleiben.«
Mia spürte ihr Herz im ganzen Körper. Grim tauchte vor ihr auf, ihre Mutter, Tante Josi, Remis, Theryon, Carven und all die anderen, die in der Welt der Menschen auf ihre Rückkehr warteten. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen — irgendetwas, das den König der Freien Feen hätte umstimmen können, doch ihr Kopf war wie leergefegt. Hilflos sah sie Jakob an, aber entgegen ihrer Erwartung fand sie keine Verzweiflung in seinem Blick, sondern eine seltsame Ruhe, die sich auch auf ihre Schultern legte, als er lächelte. Langsam wandte sie sich Rhendralor zu. »Wir kämpften für die Gerechtigkeit, mein König«, sagte sie leise. »Wir kämpften nie für die Menschen.«
Etwas wie Erstaunen flackerte über Rhendralors Gesicht, als sie ihm mit diesen Worten antwortete — jenen Worten, die er bei ihrem ersten Besuch in diesem Saal zu Theryon gesprochen hatte.
»Und unser Kampf ist noch nicht beendet«, fuhr sie fort.
»Sieh, was die Menschen getan haben — sieh, was sie noch immer tun —
das waren Eure Worte.
Wohin soll es kommen mit der Welt, wenn die Herrschaft der Menschen nicht gebrochen wird?«
Die Miene des Königs war regungslos und machte es Mia unmöglich, seine Gedanken zu erraten.
»Wir wollen sie brechen«, sagte Jakob da, und seine Stimme klang so fest und kraftvoll wie seit langer Zeit nicht mehr. »Aber nicht auf die Art, wie die Schneekönigin es versucht hat, sondern auf unsere Weise. Wir gehen den Weg der Hartide, unser Ziel ist eine geeinte Welt. Doch um weiter dafür zu kämpfen, können wir uns nicht zurückziehen. Wir dürfen nicht im Reich der Feen bleiben, denn unsere Aufgabe ist noch nicht erfüllt.«
Mia holte tief Atem. »Ich weiß nicht, welche Opfer ich bringen muss, um diese Welt wieder zu verlassen. Und ich weiß auch nicht, ob es überhaupt einen Weg hinaus gibt. Aber eines weiß ich genau: Wenn es nicht so ist, werde ich ihn mir mit meinen eigenen Händen bauen, und vielleicht ... vielleicht gibt es eine Fee, die mir dabei hilft.«
Der König schaute sie an, und im selben Moment dachte Mia nichts mehr. Die Augen Rhendralors spiegelten nichts, denn es waren die Augen einer Fee, und doch — als Mia in dieses nächtliche Blau schaute, meinte sie für einen Moment, sich selbst anzusehen. Sie sah sich an der Hand ihrer Mutter, wie sie zum ersten Mal durch frisch gefallenen Schnee
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