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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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gelaufen war, sah sich mit ihrem Vater durch die Wälder Frankreichs streifen auf der Suche nach Elfen und Trollen, sah sich allein auf den Friedhöfen von Paris, nachdem er sie verlassen hatte, und neben Jakob auf einem klapprigen Holzstuhl in seiner Wohnung, während er ihr Geschichten und Märchen erzählte. Sie sah Grims Gesicht, sah sich selbst, wie sie auf dem Turm seiner Kirche stand und über die Straßen von Paris schaute, fröstelnd und zitternd vor Kälte — und doch mit einem Schimmer aus Licht in sich, der jeden Sturm überdauern würde. Sie spürte das Lächeln, das dieses Bild durchdrang wie ein sanfter Wärmeschauer, und langsam, kaum merklich, kehrte sie vor den Thron zurück und schaute zu Rhendralor auf.
    »Menschen sind ein außergewöhnliches Volk«, sagte der König der Freien Feen. »Doch zwei Exemplare wie euch habe ich seit langer Zeit nicht mehr getroffen. Ihr seid schwach im Gegensatz zu uns Feen, ihr seid wenige — und ihr seid sterblich. Und doch habt ihr euch meiner Tochter in den Weg gestellt, ungeachtet der Folgen, die ein solches Handeln für euch selbst haben würde, und das alles nur aus einem einzigen Grund: weil es für Menschen wie euch in manchen Situationen keinen anderen Weg gibt. Vermutlich würden einige meines Volkes in die Welt der Menschen zurückkehren, wenn nur mehr von eurer Art dort leben würden, und vielleicht ... ja, vielleicht könnt ihr tatsächlich einen Tropfen dazu beitragen, dass es eines Tages dazu kommen wird.« Er holte Atem und streckte die Hand nach Jakob aus.
    Langsam trat Jakob vor seinen Thron und ließ es zu, dass der König ihm die Hand auf die Brust legte. Goldene Ströme aus Licht pulsten über Rhendralors Finger. Jakob sog scharf die Luft ein und wollte zurückweichen, doch der König packte ihn im Nacken und riss ihn zu sich heran. Mia wollte vorstürzen, doch ein Blick Rhendralors hielt sie zurück. Atemlos sah sie zu, wie das Licht sich in Jakobs Brust ergoss, wie seine Beine unter ihm nachgaben und er hilflos wie eine Puppe in den Armen des Königs lag. Er verlor das Bewusstsein, und als Rhendralor ihn losließ, wäre er gefallen, hätte der König nicht einen durchscheinenden Schleier um ihn gelegt, der ihn sanft zu Mia zurücktrug und am Boden niederlegte.
    Mia fiel neben Jakob auf die Knie. Sein Gesicht war blass wie das eines Toten, und seine Hand war eiskalt. Sie spürte, wie ihr unwillkürlich Tränen in die Augen schossen. Verzweifelt beugte sie sich über ihn — und erstarrte. Leise, kaum hörbar drang ein Ton durch die Stille. Sie presste ihr Ohr auf Jakobs Brust, und ein Schauer lief über ihren Körper, als sie hörte, dass sein Herz wieder schlug.
    »Nach dem Tod meiner Tochter kehrte die Macht über das Reich der Feen zu mir zurück«, drang Rhendralors Stimme in ihr Bewusstsein. Sie hob den Kopf und sah durch einen Schleier aus Tränen, dass der König seinen Stab mit dem Stern hob. »Und als König der Feen liegt es in meiner Macht, den Menschen das Leben zu schenken, die es mir zu Füßen legen. Ich gab deinem Bruder das Leben zurück, Mia Sturmkind, und ich werde euch beide zurückschicken in die Welt, nach der ihr euch sehnt. Eines Tages werden wir uns wiedersehen, das spüre ich — und dann wird mehr in deinen Augen liegen als Sehnsucht und Sturm.«
    Mia wollte etwas erwidern, irgendetwas, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie sah, dass Rhendralor lächelte, während ein Zauber über seine Lippen kam, und spürte gleich darauf, wie tosende Nebel sie in die Luft hoben. Sie umarmte Jakob, so fest sie konnte. Ihr Haar flog um ihren Kopf, und als die Nebel zerrissen, fiel sie erneut aus großer Höhe. Hart schlug sie auf dem Boden auf und brauchte einen Augenblick, um zu wissen, wo sie war. Taumelnd kam sie auf die Beine und half Jakob beim Aufstehen, der sich stöhnend an die Brust griff.
    Sie standen auf dem Platz vor Ayons Tempel. Die Gebäude um sie herum lösten sich auf, vereinzelt flackerten noch goldene Nebel über den Himmel und rissen die letzten Feen zurück in ihre Welt. Die Risse des Himmels waren verschwunden, die Welt erlangte langsam ihr Gleichgewicht zurück. Schleier strichen über die Zinnen und Türme der Stadt, und Mia spürte eine Schwere, die sie seufzen ließ. Wie verzaubert war die Welt gewesen, als die Magie der Feen zu ihr zurückgekehrt war, und wie grau und farblos würde sie nun wieder sein. Kalter Wind strich über den Hügel von Newgrange, der bald schon nichts weiter mehr sein würde als

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