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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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nicht, so hieß es. Für gewöhnlich geleitete eine einzelne Banshee den Toten aus der Welt der Lebenden. Nur bei ihresgleichen erschien ein gewaltiger Chor aus Todesbotinnen, der eine sterbende Fee nach Alvloryn geleitete — in das Reich der Toten in der Welt der Feen. Die Erkenntnis überkam Mia gerade in dem Moment, da sie Grim und Remis aus dem Senatssaal stürzen sah.
    »Theryon«, flüsterte sie gegen den Strom der Senatoren an, die mit angespannten Gesichtern aus dem Saal eilten und sich die Ohren zuhielten. Grim sah sie sofort. Er hörte ihre Stimme aus dem größten Lärm heraus, manchmal schien es ihr, als wüsste er instinktiv, an welchem Ort sie sich befand. Mit ausgebreiteten Schwingen raste er auf sie zu.
    »Schnell«, grollte er, als er vor ihr landete und sie die Arme um seinen Hals legte. »Wir müssen uns beeilen.«
    Sofort erhob er sich wieder in die Luft, schwang sich aus einem der Fenster und flog über die Dächer Ghrogonias in Richtung Cylasterwald. Remis krallte sich an Mias Schulter, und sie hörte die Gesänge der Banshees wie durch Glas. Sie brachten ihren Schutzzauber zum Vibrieren und flogen in rauschenden Wellen über die Häuser der Stadt. Atemlos sah sie, wie die Gebäude ihre Farbe verloren, und ein milchiger grauer Schleier legte sich auf die gerade noch schwarzen Türme und Paläste. Die Blätter der fluoreszierenden Bäume, die zahlreiche Straßen flankierten und auf vielen Plätzen zu finden waren, verloren zuerst ihren Schimmer und zogen sich dann zu grauglänzendem, ledrigen Laub zusammen. Remis sog die Luft ein, als die ölig schwarzen Spitzen des Cylasterwaldes unter ihnen dahinrasten: Auch hier schien es, als saugten die Gesänge der Banshees den Bäumen das Leben ab.
    Mia kniff die Augen im Gegenwind zusammen und erkannte dicht vor ihnen die Wohnanlage Theryons. Doch wie hatte sie sich verändert! Grau waren die Wände des Gebäudes geworden, die Erde war verdorrt, und die Blumen in den zahlreichen Gärten hatten ihre Blüten verloren. Grim landete in dem größten Innenhof, und als Mia von seinem Rücken rutschte, sah sie die Banshees. Sie zählte zwölf von ihnen in flatternden grünen Gewändern, die mit geschlossenen Augen zwischen den Säulen standen und sangen. Gesandte aus der Totenwelt der Feen waren sie, Geisterwesen mit durchscheinenden, nebelhaften Körpern, die einen Angehörigen ihres Volkes zur ewigen Ruhe führen wollten. Ihre langen Haare umwehten ihre ebenmäßigen Gesichter wie in einem Sturm, und als Mia mit Remis auf der Schulter hinter Grim durch das Eingangsportal trat, spürte sie die Blicke der Banshees, die ihr durch geschlossene Lider folgten.
    Grim stieß die Tür zur Bibliothek auf, die krachend gegen die Wand schlug — und blieb wie erstarrt stehen, den Blick auf Theryons Lichtkegel gerichtet. Mia drängte sich an ihm vorbei und stieß einen Schrei des Entsetzens aus.
    Die Bibliothek sah aus wie nach einem schweren Brand. Die einst goldenen Bücher waren schwarz geworden, eine ganze Reihe zerbröckelte, als ein leiser Windhauch sie streifte. Das Licht, das Theryon heilen sollte, hatte sich schmutzig verfärbt. In grauen Schleiern umtoste es den Feenkrieger, der kaum wiederzuerkennen war: Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, blutende Wunden klafften überall an seinem Körper, an einigen Stellen konnte Mia bleiche Knochen erkennen. Das Licht fraß sich in sein Fleisch, sein schwarzes Blut rann ihm aus Mund und Augen und tränkte das lichtdurchflutete Kleid von Aradis, die seinen Kopf in ihrem Schoss hielt. Mia riss den Blick von seinem Gesicht fort und sah die Fee an. Auch ihr Schein hatte sich verdunkelt, nur schwach schimmerte noch das goldene Licht aus ihrem Inneren. Ihr langes Haar umwehte sie, während sie Theryon zärtlich über die Wangen strich.
    »Das war die Schneekönigin«, grollte Grim und trat ins Zimmer.
    Jetzt sah Mia die Eisblumen, die sich über den Boden zogen, und sie meinte für einen Moment ein höhnisches Lachen zu hören.
    »Sie hat die heilende Magie des Strahls ins Gegenteil verkehrt. Nun tötet das Licht Theryon, statt ihn zu retten.« Grim ging auf eines der Regale zu und öffnete es lautlos. Dahinter lagen lange Reihen von Ordnern und Folianten, die wie welke Blätter zusammenfielen und farblosen Rauch ausstießen.
    Mia spürte ihr Herz im ganzen Körper, als sie auf den Lichtkegel zutrat. Ruckartig hob Aradis den Kopf, in den Augen nichts als zornigen Sturm, und als Mia die Hand ausstreckte und das Licht

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