Grim - Das Siegel des Feuers
hochgesteckt, sodass nur einzelne Strähnen in ihren Nacken fielen. Für einen Moment musste Grim an Moira denken. Doch die Haut dieser Frau war weiß und so zart, dass er das dunkle Steinblut darunter schimmern sah. Als sie sich umwandte und ihn aus tiefblauen Augen ansah, glaubte er, sein Herz würde stehen bleiben. Er hatte sie seit langer Zeit nicht mehr gesehen, doch er erinnerte sich, dass ihr Anblick schon damals eine solche Wirkung auf ihn gehabt hatte. Es war, als hätte sie sämtliche Sehnsucht des Steinernen Volkes in ihren Augen gefangen.
Der Wachtposten flüsterte ihr etwas zu, sie nickte kurz. Dann waren sie mit ihr allein. Regungslos schaute sie Grim an, aber erst als Remis ihn heftig ins Ohr zwickte, kam er zu sich.
»Eure Majestät«, sagte er schnell und neigte den Kopf. Er sah, dass Mia es ihm gleichtat, aber ein verkniffener Ausdruck war auf ihre Lippen getreten. »Mein Name ist Grim. Vor langer Zeit lebte ich in Eurem Land, doch damals mied ich die Höfe der Herrschenden, daher werdet Ihr mich nicht kennen. Ich komme als Schattenflügler in einem geheimen Auftrag aus Ghrogonia, und ich erbitte die Erlaubnis, den Weg nach Thyros einschlagen zu dürfen.«
Er vermutete, dass es nicht gerade klug war, so mit der Tür ins Haus zu fallen, aber er war froh, überhaupt ein Wort herausbekommen zu haben.
»Ghrogonia«, sagte die Herzogin, und etwas wie Hohn trat in ihren Blick. »In diesen Tagen wird der König gekrönt, ist es nicht so?«
Grim fühlte sich ertappt. Das hatte er vollkommen verdrängt. »So ist es«, erwiderte er schnell.
»Vermutlich wird Thoron in seinem Amt bestätigt«, sagte sie. »Aber ob dieser König oder der nächste — was macht das schon?« Sie löste sich aus ihrer Starre und trat auf ihn zu. Ihre Füße machten auf dem Boden kaum ein Geräusch. Dicht vor Grim blieb sie stehen und reichte ihm die Hand. Sie war warm, fast wie bei einem Menschen. Dann wandte sie sich Mia zu.
»Menschenkind«, flüsterte sie und streckte die Hand aus, um Mia an der Wange zu berühren, doch diese wich zurück. Die Herzogin lächelte sanft. »Es freut mich, dass du gekommen bist. Ich habe lange darauf gewartet, hier an diesem Ort aus Luft, verborgen und unerkannt. Fürchtest du mich?« Sie streckte erneut die Hand aus und hob Mias Kinn, um sie ansehen zu können. Da ging ein Schatten durch das Blau ihrer Augen, und ein Schmerz zuckte über ihr Gesicht. »Du hast Leid erfahren«, sagte die Herzogin kaum hörbar. »Schreckliches Leid, Menschenkind. In deinem Herzen ist ein Riss, und ein Knoten liegt in deiner Brust. Du kannst nicht weinen ... Es ist wie ...«
Grim spürte, wie Mias Hand sich um seinen Arm schloss, er hörte, wie sie einatmete. Die Herzogin schaute ihn an, Bilder zogen durch ihre Augen, als sie sich Mia wieder zuwandte. Grim sah Jakob, wie er vor den Hybriden floh, er sah ihn gegen sie kämpfen, sah das Schutzschild und wie es zerbrach — und er hörte den Schuss. Mia fuhr zurück und prallte mit dem Rücken gegen die Wand. Ihr Atem ging schnell, sie zitterte.
»Genug!« Grim trat vor sie und versperrte der Herzogin den Blick. Sie senkte den Kopf.
»Verzeiht mir«, erwiderte sie leise. Eine Weile war es still. Dann holte sie Atem, und im nächsten Moment war jeder Schatten von ihrem Gesicht verschwunden. »Thyros«, murmelte sie. »Die Wege dorthin wurden nicht ohne Grund verschlossen. Ein Grauen geht um in der einstigen Hauptstadt. Ich kann euch nicht erlauben, dorthin zu gehen — ganz gleich, wie wichtig euer Auftrag ist. Oder verfügt ihr über ein Gesuch des Königs?«
Grim presste die Zähne zusammen. Er schüttelte den Kopf. »Es geht um eine Angelegenheit von größter Wichtigkeit«, sagte er und wusste, dass er genauso gut gegen eine Wand hätte reden können. Die Augen der Herzogin waren kalt geworden. Beinahe gleichgültig trat sie nun zurück ans Fenster. Grim stieß die Luft aus. Es hatte keinen Zweck. Sie würde ihnen niemals helfen. Er musste einen anderen Weg finden. Wortlos wandte er sich zum Gehen, als Mia sich an ihm vorbeischob.
»Es ist ein Gefühl wie Schleier aus Eis«, sagte sie kaum hörbar. Langsam trat sie auf die Herzogin zu, die sie erstaunt ansah. »Wie tausend Nadeln, die die Haut durchbohren. Es ist wie ein Traum, in dem man den Mund öffnet, um zu schreien, und dann merkt, dass man keine Stimme mehr hat. Es ist, als würde man warten, allein im Dunkeln. Das einzige Geräusch ist die Stille im Inneren, und man wartet und wartet auf etwas,
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