Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grim - Das Siegel des Feuers

Grim - Das Siegel des Feuers

Titel: Grim - Das Siegel des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
Vom Netzwerk:
berühren. Silberne Funken fielen von seiner Klaue, und als er sie sinken ließ, schimmerte unter dem eingeritzten Fisch eine Sonne. Mia trat näher.
    »Was bedeutet das?«
    Grim sah sie an. »Die Sonne ist in meinem Volk ein Zeichen der Hoffnung — der sinnlosen Hoffnung selbstverständlich, denn kein Gargoyle wird die Sonne jemals leibhaftig zu Gesicht bekommen. Dennoch sehnen wir uns danach. Die Sonne ist ein Symbol für all das, was wir verloren haben.« Er schaute den Korridor hinab, der sich am Ende in der Dunkelheit verlor. »Thyros ist untergegangen mit all seinem Glanz. Aber die Stadt ist nicht verloren.«
    Entschlossen schritt er den Gang hinab. Mia folgte ihm, wie er furchtlos in die Finsternis ging, und ihr wurde bewusst, dass nur sie auf das Licht in ihrer Hand angewiesen war. Remis leuchtete aus sich selbst heraus, und Grim hatte Augen, mit denen er sogar in schwärzester Nacht besser sehen konnte als eine Katze. Zielsicher bewegte er sich durch die Gänge, fand immer wieder das Zeichen der Sonne und schien genau zu wissen, wohin er gehen musste. Sie selbst hingegen hatte schon bald jegliches Zeitgefühl verloren. Sie lauschte auf ihre Schritte, doch jeder Ton wurde aufgesogen und hinterließ nichts als die Stille um sie herum.
    Sie folgte Grim über Treppen einige Etagen tiefer, es ging durch schmale Gänge, gewölbte Kammern und flirrende Portale, doch immer lagen auf der anderen Seite weitere Korridore, die sie nur tiefer in den Bauch von Rom führten. Freskenmalereien zierten die Wände, Mia sah kunstvolle Mosaike und Darstellungen aus dem Leben Jesus. Sie hatte sich nie besonders für das Christentum interessiert, und doch fiel ihr die ungewohnte Hoffnung auf, die aus den Bildern sprach. Sie entdeckte keine Darstellung, auf der Jesus leidend gezeigt wurde, sondern vielmehr zuversichtlich und triumphierend, umgeben von paradiesischen Zeichen. Oft sah sie ihn als jungen Mann, bartlos und im Lehrgestus antiker Philosophen, zwei Finger der rechten Hand ausgestreckt. Sie wusste nicht, ob es an der dumpfen Stille lag oder an den uralten Bildern, die sie betrachtete, aber nach einer Weile fiel jede Anspannung von ihr ab, und eine seltsame Art von Frieden legte sich um ihre Schultern wie ein Mantel aus Seide.
    Auf einem Korridor, dessen Decke sich in der Dunkelheit verlor, blieb Grim stehen. Seine Finger glitten über eine helle Marmorplatte, die eines der Gräber verschloss. Er murmelte etwas. Dann hob er die Faust und stieß sie durch den Stein. Splitternd brach der Marmor auseinander. Mit angehaltenem Atem sah Mia, wie Grim in das Grab griff und einen Stein berührte, der staubbedeckt darin lag. Sofort ging ein Dröhnen durch den Gang wie das Stöhnen eines Riesen, in dessen Magen sie hockten. Mia wich zurück. Das Grab vor ihr löste sich buchstäblich in Luft auf. Es verschwamm vor ihren Augen, als würde es aus Nebel bestehen. Remis flog zögernd näher und spähte durch den Spalt, der sich aufgetan hatte.
    »Und wer ...«, begann er, doch Grim wartete das Ende des Satzes nicht ab.
    »Immer der, der fragt«, erwiderte er und schnippte Remis mit einer Bewegung seiner Klaue durch die Öffnung.
    Mia verzog das Gesicht. »Danke. Nicht nötig, dass du das bei mir auch machst.«
    Mit angehaltenem Atem zwängte sie sich durch den Spalt und fand sich in einer gewaltigen Höhle wieder, deren Decke von goldenen Strömen aus Licht durchzogen wurde und mit schwachem Schein ein riesiges Gebirge beleuchtete. Es war rot — wie Blut. Eine ausgetrocknete Ebene mit tiefen Felsspalten erstreckte sich zu seinen Füßen. Eine Stadt war nirgendwo zu sehen, doch kaum hatte Mia sich aus der Öffnung gezwängt, trat Nebel aus den Spalten der Ebene. Lyskians Worte gingen ihr durch den Kopf, und sie wiederholte sie halb laut: »Es heißt, das Blut der Gefallenen habe das Gebiet verflucht ...«
    Remis flog auf ihre Schulter. Er schluckte hörbar. »Schön, dass du ausgerechnet jetzt damit anfängst.«
    Hinter ihnen splitterte der Stein, dann stand Grim neben ihnen. Düster schaute er auf die Nebelschwaden, die sich in einigem Abstand bereits zu einer dichten grauen Mauer verwoben hatten und den Blick auf das Gebirge verwehrten. Mia spürte, dass sie beobachtet wurden. Irgendetwas hockte im Nebel und starrte zu ihnen herüber.
    »Was, wenn Lyskian recht hat?«, fragte sie leise. »Er sagte, dass niemals jemand zurückgekehrt ist, der einmal in den Nebel ging, und ...«
    »... und du hast ihm mit Nietzsche geantwortet, soweit

Weitere Kostenlose Bücher