Grim - Das Siegel des Feuers
sein Fleisch bohrten.
»Tot«, zischte der König, und seine Augen flackerten in wildem Feuer. »Jetzt habt ihr mich gefunden! Endlich, endlich gefunden. Es ist alles Wahnsinn. Es ist alles nichts. Ihr werdet die Nächsten sein! Wartet nur. Wartet nur. Unsere ... Existenz ist ein Albtraum. Jenseits von allem — nichts als ... das Nichts. Es ist vorbei, nicht wahr? Ja. Es ist vorbei.« Dann ließ er Grim fallen, riss die Faust in die Luft — und stieß sie sich in die Brust. Krachend brachen seine Rippen. Schwarzes Blut spritzte auf den Boden, als er sich das Herz herausriss. Zitternd stand er da und sah Grim an. Seine Lippen bebten. Tränen traten ihm in die Augen. Für einen Moment wurde sein Gesicht ganz weich. In diesem Augenblick sah Grim, wie Thoron als frisch geküsster Gargoyle gewesen war, wie er geliebt und gelacht und das Leben gelebt hatte, ehe die Kälte und die Ewigkeit gekommen waren und ihn in ihre eisigen Arme genommen hatten. In diesem Moment war er Thoron ganz nah. Der König streckte die Hand mit dem Herzen aus, als wollte er es Grim reichen. Dann brach er zusammen. Sein Körper schlug auf den steinernen Boden, er atmete längst nicht mehr. Noch einmal flammten seine Augen auf. »Wartet nur«, flüsterte er lautlos, ehe er starb.
Grim stand da wie angewurzelt. Er starrte auf den König, der sich in seinem Wahnsinn dem Tod in die Arme geworfen hatte. Schwarze Tränen liefen Thorons Wangen hinab, die langsam für immer versteinerten. Mourier kümmerte sich um die Menschen und führte Grim durch dunkle Gänge zurück auf die Straßen Ghrogonias.
Erschüttert ließ Grim sich neben Mourier auf die Stufen des Palastes sinken. Auf einmal hatte er keine Kraft mehr. Er barg das Gesicht in den Klauen. »Ich kann es nicht glauben«, sagte er nach einer Weile. »Thoron, er ... Er hat uns belogen, all die Jahre lang. Es ging ihm nie um unser Volk — es ging ihm um seinen eigenen Hass. Er hat die Hybriden beneidet, weil sie besitzen, was er niemals bekommen konnte — ebenso wie die Menschen. Die Freien haben die Menschen geliebt, und weil er zu diesem Gefühl nicht fähig war, musste er sie unter dem Deckmantel des Steinernen Gesetzes vernichten. Er hat uns alle getäuscht.«
Mourier sah ihn an. »Er ist geworden, wie wir alle werden, wenn sich nichts ändert. So ist es doch, nicht wahr? Er hatte Angst. Wir hatten Angst. Die Stadt ist in dieser Atmosphäre gewachsen und mit ihr ein König, der dem Wahnsinn verfallen ist. Er hat ...« Mourier hustete. Für einen Moment fürchtete Grim, er müsste sich übergeben. Dann fuhr der Löwe fort: »Er hat sich Menschen gehalten und ihnen die Träume geraubt — ohne Unterlass. Das hat ihn um den Verstand gebracht. Ein Wahnsinniger hat über uns alle geherrscht — über mich, die OGP! Und ich habe seine Befehle ausgeführt, ich gottverfluchter Hornochse, wie konnte ich das nur tun?«
Grim starrte Mourier an, der puterrot geworden war, und musste auf einmal lachen. »Ich habe dich noch nie fluchen hören. Es klingt gar nicht so schlecht. Mit ein bisschen Übung könntest du es weit bringen.«
Mourier warf ihm einen Blick zu, dann stieß er die Luft aus. Eine Weile saßen sie schweigend. »Es ist so, wie du gesagt hast«, sagte der Löwe dann. »Unsere Stadt war nicht vollkommen. Aber verdient sie es nicht, vollkommen zu sein? Verdienen wir es nicht?«
Grim nickte langsam. Dann ließ er den Kopf sinken. »Es ist vorbei«, sagte er leise. Er hatte es geahnt, doch nun, da er die Worte aussprach, fuhren sie ihm eiskalt den Nacken hinunter. »Waldschrate, Kobolde, Gnome — was habe ich mir gedacht? Sie sollen gegen die Schwarzmagier kämpfen?« Er schüttelte den Kopf. »Mit Thorons Stärke hätte ich es vielleicht bis zu Seraphin geschafft — aber so ist es hoffnungslos. Was wir bräuchten, ist eine Armee — eine Armee, wie Seraphin sie hat. Aber so ...« Er fuhr sich über die Augen. »Nein. So haben wir keine Chance.«
Die Geräusche um ihn herum wurden dumpf, nur ein leises Knirschen drang noch an sein Ohr. Schritte. Sie näherten sich mit einem Geräusch, als würden sie glühende Kohlen unter ihren Sohlen zum Erlöschen bringen. Grim hatte diesen Klang schon einmal gehört. Damals hatte er im Schnee gelegen, mit dem Gesicht nach unten, und war dem Tod näher gewesen als dem Leben. Jetzt hob er den Blick und konnte es nicht glauben. Dort auf der Straße stand Pheradin — und langsam, einer nach dem anderen, traten seine Mutanten aus den Schatten der
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