Grim - Das Siegel des Feuers
gehalten. Aber wir dürfen nicht denselben Fehler machen wie viele von ihnen. Wir dürfen uns nicht von unserer Angst leiten lassen. Dieser Gargoyle ist vor allem eines: ein Held. Er hat mir das Leben gerettet, als alle anderen — auch viele von euch, dass das gleich klar ist — abgehauen wären. Er hat Ehre und Gewissen, meine Freunde. Und jetzt bittet er euch um Hilfe — eine Hilfe, die ihr gewähren solltet, wenn ihr jemals wieder ohne Scham in den Spiegel schauen wollt!«
Leises Gemurmel setzte ein. Der Waldschrat stand auf. »Sie hätten das niemals getan«, rief er und hob die dürre Faust. »Die Gargoyles hätten uns nicht geholfen!«
Da stemmte Vraternius die Hände in die Hüfte. »Und?«, rief er so laut, dass Grim zusammenfuhr. »Wollt ihr etwa so sein wie sie?«
Für einen Moment war es totenstill. Dann setzte der Jubel ein. Grim wechselte einen Blick mit Mourier, aber erst, als Vraternius sich zu ihm umwandte, begriff er, dass er gewonnen hatte. Das Volk Ghrogonias stand auf seiner Seite. Vraternius kam auf die Empore und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Sieht so aus, als würden sie euch helfen, nicht wahr?«, fragte er mit einem Lächeln. Grim wollte sich bedanken, doch der Gnom winkte ab. »Freunde«, sagte er und hielt Grim die Hand hin. Grim ergriff sie und schüttelte sie vorsichtig. Für einen Moment verstummten die Geräusche um ihn herum, und seine Finger wurden warm, als flösse ein Strom aus Wärme in seinen Körper. Dann zog Vraternius seine Hand zurück. Das warme Gefühl jedoch blieb und ließ Grim lächeln.
Schnell fand Vraternius sich bereit, die Menge der Freiwilligen zu organisieren. Grim verließ das
Zwielicht
und machte sich mit Mourier auf den Rückweg. Denn die Ghrogonier auf seine Seite zu bringen, war das eine — nun galt es, einen König zu mobilisieren, einen König, der in Verzweiflung geraten war und nicht mehr aus seinem zerstörten Haus herauskam. Grim hatte Thoron seit seinem letzten Besuch nicht mehr zu Gesicht bekommen, aber er wusste, dass er auf die Stärke dieses Gargoyles nicht verzichten konnte — ganz gleich, was nach diesem Kampf aus dem König werden mochte. Es galt, in die Schlacht zu ziehen, und dafür brauchte er nicht nur jedes einzelne magiefähige Wesen — er brauchte Thoron. Die Geschöpfe des
Zwielichts
würden die Schwarzmagier aufhalten können, aber nur der König war alt und mächtig genug, um Grim ein Vordringen bis zu Seraphin zu ermöglichen. Grim ließ die Knöchel seiner rechten Klaue knacken. Er würde Seraphin zum Kampf fordern. Doch zuvor musste er an den Magiern vorbei — und er musste das Zepter der Menschen an sich bringen. Für einen Augenblick dachte er an Mia. Sie hatte die Bilder von Seraphins Plänen über die Leinwände laufen lassen — daran gab es für ihn keinen Zweifel. Das bedeutete, dass sie zumindest bis zu diesem Zeitpunkt überlebt hatte. Aber was hatte Seraphin inzwischen mit ihr gemacht? Für einen Moment schloss Grim die Augen. Sie lebte, das fühlte er. Und er würde sie finden.
Über geheime Wege gelangten sie zurück nach Ghrogonia und zu Thorons Palast. Für einen Augenblick blieben sie stehen.
»Woher weißt du, dass er uns helfen wird?«, fragte Mourier auf einmal.
Grim warf dem Löwen einen erstaunten Blick zu. Diese Frage hatte er sich nie gestellt. »Thoron war verwirrt, als wir ihn das letzte Mal gesehen haben. Ihm ist alles ausweglos und ohne jede Hoffnung erschienen. Aber jetzt stehen die Dinge anders. Jetzt haben wir einen Plan. Thoron war und ist der König Ghrogonias — er würde es nicht zulassen, dass die Stadt in Hybridenhänden bliebe.« Ein merkwürdiges Gefühl überzog Grim, als er dieses Wort aussprach:
Hybrid.
Für einen Moment schlug sein Herz schneller in seiner Brust. Dann holte er tief Luft und trat ein.
Dämmerung empfing ihn. Es war so dunkel, dass er die Gemälde im Treppenaufgang kaum erkennen konnte. Überall lagen Gesteinsbrocken auf dem Boden. Grim brauchte eine Weile, bis er merkte, dass es Ziegel waren, die durch das marode Dach gefallen waren. Schon nach wenigen Schritten hörte er die knarrenden Dachbalken — lange würde das Gebäude nicht mehr standhalten. Vorsichtig liefen sie die Treppe hinauf, doch sie fanden den Saal verwaist. Nur der Thron stand noch darin, geisterhaft beschienen vom Licht des grünen Schutzwalls rings um den Schwarzen Dorn. Suchend schaute Grim sich um. Der Palast war riesig. Thoron konnte überall sein. Da sah er die Fußabdrücke — es
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