Grim - Das Siegel des Feuers
aber anders. Sorgfältig wickelte er das Pergament wieder in seine lederne Hülle und brachte es zurück in die Wohnung des Menschen.
»Die Freien«, murmelte Grim vor sich hin. »Moira ... und ich dachte, ich würde dich kennen. Welche Geheimnisse verbirgst du vor mir?«
Nach einer Weile kehrte Remis zurück. »Das solltest du dir ansehen«, sagte er nur und deutete nach unten.
Wortlos ließ Grim sich vor die Wohnung des Menschen gleiten und warf einen Blick hinein. Überrascht hob er die Brauen. Überall — an den Wänden, am Fensterglas, sogar über den Büchern lag eine dünne Eisschicht, und offensichtlich war es das Mädchen, das diesen Zauber wirkte, denn unentwegt tanzten blaue Flämmchen über ihre Fingerkuppen, während der junge Mann neben ihr saß und auf sie einredete. Grim biss die Zähne zusammen. Er hatte es hier also nicht nur mit einem, sondern gleich mit zwei Hartiden zu tun — noch dazu mit einigermaßen mächtigen. »Du bleibst hier und passt auf«, raunte er Remis zu.
»Ich?«, empörte sich der Kobold. »Wieso ich? Was ...«
Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment brach ein Eiszapfen durchs Fenster und zischte als gewaltiges Geschoss zwischen ihnen hindurch — nicht ohne jedoch vorher Grims Wange zu treffen und ihm einen netten neuen Kratzer zu bescheren.
»Deswegen!«, zischte er Remis zu. »Irgendetwas geht hier vor, und wir müssen rausfinden, was es ist. Alles klar?«
Der Kobold seufzte. »Na klar. Wie immer.«
»Sobald sich etwas tut, sagst du mir Bescheid«, sagte Grim leise. »Ich werde noch einmal mit Moira sprechen. Und einfach werde ich es ihr dieses Mal nicht machen.«
Ohne ein weiteres Wort erhob er sich in die Luft und machte sich auf zu Moiras derzeitigem Stammfriedhof Pere Lachaise, der größten Totenstadt innerhalb von Paris. Zwei Hartide also, und sie nutzten ihre Kräfte. Wie sonst war diese merkwürdige Szene zu deuten? Seit Urzeiten war das nicht mehr vorgekommen. Die meisten Menschen mit Hartidfähigkeiten wussten nicht einmal etwas davon. Diese beiden Hartide waren anders. Immerhin hatte Moira dem Jungen ein Pergament mit dem Siegel des Feuers anvertraut, das vermutlich ein Geheimnis mit weitreichenden Konsequenzen in sich trug.
Gelangen die Geheimnisse, die ein solches Siegel schützt, in die falschen Hände, können furchtbare Dinge geschehen.
Ob Moira von dem Mädchen wusste? Ganz sicher war sie sich nicht über dessen Fähigkeiten im Klaren. Dieses Mädchen war gefährlich, so viel stand fest. Brennend zog der Schmerz über Grims Wange. Angegriffen hatte sie ihn, ob wissentlich oder nicht, und sie hatte ihn verletzt. Er musste Moira davon erzählen. Und er musste herausfinden, was sie mit den Freien zu schaffen hatte. War sie etwa selbst eine von ihnen? Der Gedanke zog Grim den Magen zusammen. Nein, so schlecht kannte er Moira nicht. Oder doch?
Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Schnell ließ er sich fallen und verschwand im Schatten einer dunklen Gasse. Kurz darauf landete etwas mit steinernen Klauen ganz in seiner Nähe. Mühsam ließ er seinen Blick über das gegenüberliegende Dach schweifen und sah zwei dunkle Gestalten. Diese Gargoyles waren fremd, ihr Geruch, ihre Haut — sie gehörten keinem der Pariser Clans an, so viel stand fest. Misstrauisch beobachtete er, wie sie an den Rand des Daches traten. Sie waren fast so groß wie er, ihre Haut bestand aus gesprenkeltem Marmor, und sie trugen weite schwarze Umhänge. Grim hielt den Atem an.
»Also ich weiß nicht«, hörte er die Stimme des einen.
Der andere trat so dicht an den Rand des Daches, dass seine Krallen über den First ragten. »Das is nix Neues, dass du nix weißt«, sagte er und lachte.
Grim seufzte innerlich. Er hasste diese Art zu lachen, dieses klebrige Tonleiterlachen. Die Speichellecker Mouriers lachten genauso.
»Bist du dir sicher, dass er dieses Gebiet genannt hat? Der Pate reißt uns den Kopf ab, wenn wir die ganze Nacht am falschen Ort gesucht haben«, fuhr der Erste fort.
Grim runzelte die Stirn. Der Pate? Wo war er hier gelandet, in einem Mafiafilm der Menschen?
»Immerhin würde das erklären, wieso hier weit und breit kein Mörder zu sehen ist«, erwiderte der andere und spie eine Handvoll Kiesel auf die Straße. »Andererseits ist es vielleicht nicht schlecht, dem Kerl nicht zu begegnen. Immerhin ... diese Sache mit dem Werwolf ...«
Sein Kumpan gab ein gurgelndes Geräusch von sich. »Ja, dem ist die ganze Haut flöten gegangen ... Ganz schön
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