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Grim - Das Siegel des Feuers

Grim - Das Siegel des Feuers

Titel: Grim - Das Siegel des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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eine Seitengasse lockte.
    »Der Zauber des Vergessens liegt seit jener Zeit wie ein Schleier auf uns Menschen«, fuhr Jakob fort. »Selbst wenn ein Anderwesen sich uns offenbart, erscheint es uns nie in seiner wahren Gestalt. So fühlen manche von uns, dass sie eine Elfe vor sich haben, sehen aber nur eine schillernde Libelle oder einen Schmetterling mit besonders zarten Flügeln. Der Zauber schützt die Geschöpfe davor, dass wir ihr wahres Wesen erkennen. Dennoch ist ihr Anblick oft ungewöhnlich, wie eine steinerne Statue, die auf einmal blinzelt. Und da die Menschen dazu neigen zu bekämpfen, was sie nicht verstehen, gefährden solche Zusammentreffen die Anderwelt. Manche Anderwesen sind unvorsichtig, andere scheren sich nicht um den Zauber des Vergessens und zeigen sich den Menschen ganz bewusst. Ein prominentes Beispiel ist das Monster von Loch Ness, das geradezu eine Fetischbeziehung zu Kameras jeder Art hat und nichts lieber tut, als sich fotografieren zu lassen. Daher gibt es die OGP. Einem Sondereinsatzkommando der Schattenflügler ist es gelungen, die Haut von Nessie mit einem speziellen Zauber zu belegen, sodass sie zu flirren scheint und verwischt, sobald eine Kameralinse sie fokussiert. Meist sind solche Zauber jedoch nicht anwendbar — beispielsweise, wenn ein Mensch einem unvorsichtigen Anderwesen begegnet. In diesen Fällen sorgt die OGP dafür, dass wir uns nicht an solche Ereignisse erinnern. Die Gargoyles löschen unsere Erinnerungen, weil sie Angst vor uns haben — Angst vor dem, was wir ihnen antun könnten, wenn wir von ihnen wüssten.«
    Mia zog die Arme um ihren Körper. Auf einmal roch sie wieder den Duft von Farbe und Papier, und für einen winzigen Moment war ihr, als wäre Lucas da, als stünde er genau hinter ihr, gerade in diesem Moment. Sie drehte sich nicht um.
    »Aber ich kann sie sehen«, sagte sie stattdessen und starrte auf die Leinwand, die langsam wieder von glitzerndem Nebel überzogen wurde.
    »Nicht alle Menschen wurden vom Zauber des Vergessens erfasst«, erwiderte Jakob. »Einige wenige blieben verschont: wir, die Hartide, Seher des Möglichen. Manche sagen, dass vor langer Zeit noch alle Menschen Magie in sich trugen und sie nach und nach verloren haben — wie ein Talent, das man nicht pflegt. Sie denken, dass die Magie in uns den Zauber verhindert. Andere sprechen von einer besonders starken Sehnsucht nach der Phantasie, nach einer Anderwelt, die dasselbe bewirkt. Ich weiß nicht, warum wir sind, wie wir sind. Aber ja: Wir können sie sehen.«
    Mia dachte an die Gargoyles, die ihr noch vor Kurzem so wunderschön erschienen waren. Jetzt wurde ihr kalt, wenn sie an sie dachte. »Sie haben uns belogen«, sagte sie leise. »Sie haben uns die Welt und unsere Geschichte gestohlen. Und sie tun es noch immer.«
    Jakob schwieg eine Weile. »Ich habe dir das alles nicht erzählt, um dich wütend oder traurig zu machen. Nicht alle Gargoyles hassen die Menschen. Zu allen Zeiten, selbst in den Zeiten der Kriege, hat es auch andere gegeben — jene, die sich immer wieder auf die Seite der Menschen stellten. Sie nannten sich die Freien. Aber sie waren geächtet in ihrem Volk, und wie die Hartide wurden sie von den Gargoyles verfolgt und ermordet, wenn sie sich erwischen ließen. Dennoch haben sie die Menschen nie alleingelassen. Kurz nach dem Zauber des Vergessens haben sie sich mit den Hartiden zusammengetan, um ...« Jakob stockte. Es war, als hätte er sich wochenlang auf diesen Moment vorbereitet und wüsste gerade jetzt nicht mehr, wie er weitermachen sollte.
    Aufatmend griff er in die Tasche seiner Jacke und zog etwas daraus hervor. Fast ehrfürchtig hielt er es in den Händen.
    Mia warf einen Blick darauf. Es war ein Paket, in dunkles Leder gewickelt, und strömte einen Duft aus wie uralte Bücher. Jakob starrte darauf. Ein seltsamer Glanz lag in seinen Augen.
    »Das, was ich dir jetzt anvertrauen werde«, sagte er, »darf unter keinen Umständen diesen Raum verlassen. Du darfst mit niemandem darüber sprechen, mit niemandem, hörst du?«
    Mia nickte beklommen. Noch nie hatte Jakob so mit ihr gesprochen, so ernst und so — traurig. Er strich vorsichtig mit den Fingern über das Leder. Nach und nach öffnete er die Schnüre, die sich wie Schlangenleiber ineinander verstrickt hatten. Leise fuhr er fort zu sprechen, so leise, dass Mia sich vorbeugen musste, um ihn zu verstehen. Wie zwei Verschwörer hockten sie auf ihren Stühlen, das seltsame Paket zwischen sich.
    »Kurz

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