Grim
andere Hartid, den ich kannte, bis ich euch traf. Durch ihn erfuhr ich vor etwa zwei Jahren, was ich bin, und seitdem hat sich mein Leben komplett verändert. Ich habe eine Heimat gefunden in der Anderwelt, versteht ihr? Jetzt fürchtet ihr euch noch, das kann ich verstehen, denn mir ging es auch nicht anders, ganz am Anfang. Aber irgendwann werdet ihr merken, dass sie ein Teil von euch ist, so wie ihr ein Teil von dieser neuen Welt seid, und ihr werdet wie ich den Tag herbeisehnen, an dem beide Welten – die der Menschen und die der Anderwesen – wieder vereint sind, so wie es früher einmal war.«
Siewolltenochmehrsagen,dochdaschnaubteJaroverächtlich.»Daswerdeichgarantiertnichtwollen.Keinervondenenkanndassehen,wasichsehe,keinerkanndastun,wasichtunkann.Warumsollteichdasteilenwollen?«ErschütteltedenKopf.»DieMenschensindweg,alleaußeruns,undsiekönnenmirauchgestohlenbleiben.«
Edwin zog die Brauen zusammen, etwas Dunkles trat in seinen Blick, das seinem kindlichen Gesicht einen harten Zug verlieh. »Meine Eltern sind verschwunden«, sagte er, und Mia konnte hören, dass seine Stimme zitterte. »Wer weiß, ob es ihnen gut geht. Sie … «
Jaro schlug in die Luft wie nach einem Insekt und unterbrach ihn. »Da kann ich nicht mitreden, Sohn aus gutem Hause, bedaure. Mein Leben lang hat man mich nur rumgeschubst, vom Stiefvater zum Onkel, vom Onkel in Heim Nummer eins, zwei, drei, und so weiter, bis ich abgehauen bin, und ich gehe jede Wette ein, dass ich früher oder später in der Gosse oder im Knast gelandet wäre in der wunderbaren Welt der Menschen. Keiner von denen hat sich je einen Dreck um mich geschert. Sie sind mir so was von egal.« Ein Lachen entwich seinem Mund, das beinahe fröhlich klang. »Nur wir können die Anderwelt sehen, Leute – nur wir Hartide! Das ist doch großartig!«
Mia fing Grims Blick auf, doch ehe sie etwas sagen konnte, sog Radvina scharf die Luft ein. Im letzten Moment presste sie sich die Hand vor den Mund, um keinen Ton von sich zu geben, und starrte auf eine lilafarbene Schleimkugel, die sie an der Schulter getroffen hatte. Schon flog eine weitere Kugel aus einem der Durchbrüche in der Wand, raste auf Remis zu, der gerade noch auswich, und traf mit klatschendem Geräusch Grims Arm. Der Kobold unterdrückte nur mäßig erfolgreich ein Kichern, während Grim mit finsterer Miene den Schleim von seinem Mantel wischte und auf den Durchbruch zutrat. Wortlos entfachte er ein weißes Licht in seiner Hand, flüsterte einen Zauber – und warf es in die Schatten. Sofort kreischte etwas in der Dunkelheit und machte sich mit einem Heidengezeter davon.
»Keine Sorge«, sagte Mia erleichtert. »Das sind Dorken, Dämonen der ersten Kaste, höchstens gefährlich für Ratten und … « Radvina starrte sie so entsetzt an, dass Mia nicht wusste, ob sie nun Dämonen oder Ratten schrecklicher fand. »Sie werden uns nichts tun«, fuhr sie fort und half Radvina, den widerwärtigen Schleim von ihrer Schulter zu entfernen. »Sie machen sich nur einen Spaß daraus, uns zu ärgern, das ist alles.«
Mia hörte noch das Scharren in einem der Durchbrüche, doch noch ehe der Dämon auch nur Luft geholt hatte, um eine weitere Spuckekugel abzufeuern, sprang Jaro vor und schickte einen gleißend hellen Flammenzauber in die Dunkelheit. Mia nahm den Schrei des Dämons wahr und schauderte in der anschließenden Stille. Wie erstarrt schauten Radvina und Edwin zu Jaro hinüber, der sich die Hand schüttelte, aus der er den Zauber geworfen hatte. Sein Blick glitt von der reglosen Fassade Lyskians ab, denn er sah nicht die Geringschätzung, die als glimmender Funke in den Augen des Vampirs aufloderte, und er ignorierte sowohl Remis, der bestürzt den Kopf schüttelte, als auch Grim, dessen Augen in schwarzem Feuer standen. Mit überlegenem Grinsen schaute er Mia an, doch sie achtete kaum darauf. Brennend zog sich der Zorn in ihr zusammen, und noch ehe Jaro etwas hätte sagen können, packte sie ihn an der Kehle. Knisternd zog ihr Eiszauber in seinen Körper, als sie ihn gegen die Wand presste. »Sie tun uns nichts zuleide«, sagte sie eindringlich. »Hast du verstanden? Du hast kein Recht, so etwas zu tun, und sollte ich dich noch einmal dabei erwischen, wie du deine Macht ausspielst, ohne dass es nötig ist, wirst du es bereuen – stärker als dieses Mal!«
Sie fixierte ihn für einen Moment, sah das Entsetzen in seinen grauen Augen und spürte die Genugtuung, als der Todesschrei des Dämons darin versank.
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