Grim
Unterkiefer so weit hinunterklappen, dass seine grüne Zunge sichtbar wurde – und fiel in Ohnmacht.
Remis kicherte lauthals drauflos und selbst, als Vraternius ihm einen bösen Blick zuwarf, konnte der Kobold sich nur unter ständigem Hicksen zusammenreißen. Mit einer silbernen Zange zog der Alchemist das Tier näher zu sich heran, doch gerade, als er seine Spritze ansetzen wollte, riss es die Augen auf. Sie waren schwarz geworden wie geronnenes Blut, und kurz verwandelte sich das Affengesicht in eine riesige Schreckensfratze. Schwarze Lederhaut spannte sich über hervorstehenden Wangenknochen, die Lippen hingen halb zerrissen vor den verfaulten Zähnen, Maden wanden sich in dem gurgelnden Schlund, und plötzlich schoss die Zunge zwischen den Lippen hervor und leckte Vraternius quer übers Gesicht. Der Alchemist schrie auf, als sich der Speichel wie Säure in seine Haut fraß. Sofort wirkte er einen Gegenzauber, doch im selben Moment begannen die blauen Zeichen zu flackern und die Flammen erloschen. Das unheimliche Wesen befreite sich aus der Klammer und sauste hoch in die Luft. Dort verwandelte es sich in das nackte Tier mit dem Affengesicht zurück, spuckte eine winzige grüne Pfütze in den Bannkreis und verschwand mit einem lauten Knall.
»Verflucht, was war das denn?« Grim wollte aufstehen, doch ein Blick in Vraternius’ Gesicht genügte, um ihn innehalten zu lassen. Ein leuchtend roter Striemen zog sich quer üb er die Wange des Gnom s.
»Woher soll ich das wissen?«, zischte dieser und schleuderte die Zange auf den Boden, dass es knallte. »Das in meinem Gesicht war jedenfalls Asphathinsäure, äußerst effektiv, wenn man sich in wenigen Sekunden in seine Bestandteile auflösen möchte, wirklich!«
Grim lag eine Antwort auf der Zunge, doch er wusste aus eigener Erfahrung, wie schmerzhaft eine Begegnung mit Asphathin sein konnte, und schwieg. Mit finsterer Miene trat Vraternius auf den Nebel zu, der sich noch immer in dem goldenen Wirbel drehte.
»Nun, immerhin haben wir ja noch dich«, murmelte er, als würde er mit einem lebendigen Wesen sprechen. Dann wandte er sich halb zu seinen Zuschauern um. »Achtung«, sagte er und lächelte erneut. »Das könnte gleich ein wenig … laut werden.«
Ohne eine Reaktion abzuwarten, riss er die Arme in die Luft und rief einen Zauber. Ein heftiger Windstoß fuhr durch den Raum, die Kerzen und blauen Zeichen erloschen und kurz hörte Grim nur noch Vraternius’ eindringliches Gemurmel und das hektische Schnaufen von Remis. Dann schoss ein weißer Flammenkreis in die Höhe, so gleißend, dass Grim zurückfuhr. Er sah noch Vraternius, der in rascher Folge verschiedene Pulver in den wirbelnden Nebel warf. Ein bedrohliches Grollen ging durch den Raum – und im nächsten Moment zerriss der Dunst grün blitzend und mit einem gewaltigen Donner, der Grim vom Stuhl warf, mitten hinein in eine schmerzhafte Helligkeit. Als das Licht erlosch, stellte er fest, dass er sich nicht länger im Raum der Alchemisten befand. Er war in einem Saal aus Nacht. Die Wände waren dunkelblau, sie flatterten wie wehende Tücher, aber ohne jedes Geräusch. Der Boden bestand aus schwarzem Stein, die Decke war ein Sternenhimmel, der silbriges Licht verströmte. Von irgendwoher kam das Rauschen von Wellen, doch gerade, als Grim begriff, dass er sich in einer Illusion befand, hörte er die Stimme hinter sich.
Er erkannte sie sofort und doch fuhr er zusammen, als er sich umwandte und den Minotaurus kaum wenige Schritte entfernt in einem Bannkreis stehen sah. Rote, blaue und goldene Linien zogen sich durch den Raum, der Boden, auf dem er stand, brannte in glühenden Scherben, und um ihn herum schwebten uralte Schriftzeichen in der Luft wie auf durchscheinendem Pergament. Immer wieder flammten einzelne Formeln auf und sanken dann zurück ins Nichts, als wären sie Steine, die in tiefes Wasser geworfen wurden. Die Stimme des Minotaurus lockte sie, die Flammen loderten heller und verglühten, Rauch stieg auf, und die Glut entfachte sich neu. Während Grim dastand, regungslos und von einer tiefen, ungläubigen Faszination ergriffen, fühlte er, wie die Zeichen sich auf seine Haut legten, wie sie in ihn einsanken und sich auf seiner Zunge zu einer Sprache formten, an die er sich nur dunkel erinnerte.
Th’ynguel , flüsterte er ehrfürchtig. Die Alte Dämonensprache, mit der Us’vuril und Kar’monthas, die Ersten Dämonen der Welt, ihr Volk durch die Steppe von Udhur führten, mit der sie die Berge
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