Grim
Blut klebte an ihren Fingern. Sie schauderte, als Dumas Blick darüber hinwegstrich und beides in flirrendes Licht verwandelte, das unter dem Flüstern des Golems zu Staub zerbrach. Er fühlte sich kühl an in Mias Hand, und als sie Duma ansah, da veränderten sich seine Augen: Das Licht des Raumes wirkte in ihnen wie tausend Sterne, sie entfachten ihren Schein und verwandelten sie in Spiegel aus flüssigem Blei.
Das Lächeln des Golems verstärkte sich. Deine Erinnerung ist mehr als jeder Dank, sagte er, obwohl sich der Gedanke gerade erst in Mias Kopf geformt hatte. Deine Suche wird lang sein, länger, als du ahnst. Doch nun trägst du meinen Atem bei dir – den Staub der Sterne.
Mia neigte den Kopf, ihre Kehle zog sich zusammen, als der Golem beiseitetrat und den Weg zur Tür freigab. Langsam ging sie darauf zu, die Lichter der Erinnerungen flogen über sie hinweg und durchströmten sie mit haltloser Wärme und Zuversicht. Angestrengt suchte sie nach Worten, die sie Duma sagen konnte, wohl wissend, dass der Golem sie erahnen würde, lange bevor sie in der Lage wäre, sie auszusprechen.
An der Tür wandte sie sich noch einmal um. Doch der Dachboden war leer.
Kapitel 33
Die Feste des Zorns war ein gewaltiger Turm aus gefrorener Asche. In mehreren Schichten zogen sich die organischen Strukturen bis hinauf zur Klaue des Drachen, sie schimmerten in der Dämmerung wie aufgebrochenes Fleisch, ergossen sich in steinernen Schleiern übereinander, als bestünden sie aus den Eingeweiden unzähliger Kreaturen, und verliehen dem Fluchturm etwas erschreckend Lebendiges. Blutrote Glut glomm in den Rissen des schwarzen Steins, Fluchzeichen drängten sich von innen gegen die Fassade und hinterließen Abdrücke wie Brandzeichen darin, und Grim spürte die Macht des kaltglühenden Schattens Kharamons, als würde er sich mit tausend Klingen in sein Fleisch senken.
Dies war der Ort, in dem Orrun Argranthon die Flüche der Zwölf Krähen zu Eis gefror, der Ort, an dem die Heerscharen des Östlichen Schattens zu Staub zerfielen angesichts der Kälte in seinen Mauern und in dem die Herrin Jazmhul ihre Reiter erschuf, um die Unterwelt für ihr Volk vom Schmutz zu reinigen. Dies war ein Ort, der seit Urzeiten schlief, der halb zerstört und vernichtet war – aber noch immer konnte Grim den Schwefel und die Flammen riechen, die in den goldenen Drachenschalen der Ersten Dämonenkönige zu Flüchen und Albträumen gebannt worden waren, und er hörte die Schreie der Verlorenen Seelen, die – einst von einem Dämon befallen und nach zu langer Zeit von ihm zurückgelassen – den Weg gefunden hatten zur Seele dieses grausamen Volkes, zum Kern der einstigen Macht und zum Herrschaftssitz der Car’lay Ythem aus lang vergangener Zeit. Zerrissenen Kleidern gleich strichen noch immer einzelne Schatten um das Gebäude, und hinter der Schwelle der Tür, die als starres Maul in den Steinen lag, war tiefste Finsternis.
»Sehr einladend«, murmelte Remis und landete auf Grims Schulter.
Samhur erhob sich langsam. Das schwarze Licht, mit dem er die Schatten Kharamons gelüftet hatte, flackerte unheilvoll über sein Gesicht. »Die Feste des Zorns wurde nicht errichtet, um Besucher zu empfangen«, sagte er. »Sie wurde erbaut, um der Kern des Schreckens zu sein. Und genau das ist sie geworden.«
Damit setzte er sich in Bewegung und trat über Felsgestein, das aussah wie totes weißes Fleisch, auf den Turm zu. Dunkel brandete das Tosen des Flusses zu ihnen herauf.
»Genau so etwas wollte ich jetzt hören«, murmelte Remis. »Manche Leute sollten ihr Wissen einfach für sich behalten, wenn man sie nicht danach fragt, ist das etwa zu viel verlangt? Es gibt nämlich Dinge, die keiner von uns wissen will, ganz besonders nicht im Augenblick.«
Grim folgte Samhur schweigend. Er ging jede Wette ein, dass der Jäger noch einiges über diesen Ort erzählen konnte, aber auch er war nicht gerade erpicht darauf, es zu hören. Die Glut der Feste brachte die Schatten dazu, unheilvoll zu wandern, und vereinzelt brachen faustgroße Steine unter seinen Füßen, als würden sie aus Sand bestehen. Er vermied es, sich den Boden genauer anzusehen, denn mit jedem Schritt begann er stärker daran zu zweifeln, ob es tatsächlich Steine waren, die unter ihm zerbrachen, oder unter großer Hitze zusammengeschrumpfte Schädel. Glühend legte sich das Licht der steinernen Wälle auf ihn, und er sah sie vor sich, die Heerscharen, die sich in den Kriegen der Vorzeit an ihnen
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