Grim
und ihn anzusehen. Hatte er ihren Plan durchschaut? Sie fixierte seine Hand, die ebenso von Flammen überzogen wurde wie seine übrige Gestalt, und rechnete damit, dass er sich jeden Augenblick umdrehen würde, um zu verschwinden. Doch dann trat er einen weiteren Schritt vor, es war ein gewaltsamer Schritt, so als müsste er sich wider besseres Wissen dazu zwingen. Mia sah, dass er die Hand nach ihr ausstreckte, und schloss die Augen. Kaum merklich strich er ihr das Haar aus der Stirn und sie hörte einen Ton über seine Lippen dringen, der sie stutzen ließ. War es ein Seufzen, ein Schmerzenslaut? Ehe die Frage sie lähmen konnte, riss sie die Augen auf und stieß die Faust vor.
Der Dolch in ihrer Hand verfehlte den Minotaurus nur knapp. Sie hatte zu lange gezögert, der Dämon wich vor ihr zurück, wehrte ihren Hieb ab, und der Dolch glitt ihr aus den Händen. Sofort griff sie nach der Waffe. Glühend brannte sich das Schwarze Petroleum auf der Klinge in ihr Fleisch, doch ehe der Schmerz überhandnehmen konnte, rammte sie dem Minotaurus die Waffe bis zum Heft in die Brust.
Fast mühelos zerschnitt die Klinge sein Fleisch, mit heftigem Keuchen sprang er auf die Beine. Mia rappelte sich auf, und nun, da sie direkt vor dem Dämon stand, schaute sie ihm zum ersten Mal ins Angesicht. Sie sah den Schrecken in seinen Augen, wie eine Erinnerung an etwas, das lange zurücklag und nun wieder aufbrach. Er stand da, die Hand um den Dolch gelegt, sein Blut floss aus der Wunde, und das Petroleum drang mit Flammenhänden in ihn ein. Doch er schien es kaum zu bemerken. Mia atmete schnell, das Gift raste durch ihren Arm und ließ sie auf die Knie fallen, aber sie wandte sich nicht vom Minotaurus ab. Kannte er sie? Und als hätte dieser Gedanke eine Fessel gelöst, riss er auf einmal den Kopf in den Nacken und schrie, hell und klar, fast menschlich. Dann zog das Gift Mia das Blut aus dem Kopf. Sie rang nach Atem, doch ihr Blick hing noch immer an dem Minotaurus, der auf sie herabsah, während er durch den Nebel zurückwich, schmerzerfüllt nun und gehetzt. Sie zog die Brauen zusammen. Etwas war mit seinem Gesicht.
Dann zog übermächtiger Schmerz durch ihre Glieder. Sie krümmte sich zusammen, sah nichts mehr als das trübe Weiß des Nebels und das Blut, das sie auf die Steine spuckte. Glut raste durch ihre Adern, sie meinte, von innen heraus verbrennen zu müssen, doch gerade als sie glaubte, den Schmerz nicht mehr aushalten zu können, glitt ein Schatten über sie hinweg. Sie drehte sich auf den Rücken, sah die Gargoyles, die durch den Nebel brachen – und einen Engel aus Schatten und Dunkelheit. Dann wurde ihr schwarz vor Augen.
Kapitel 5
Vorsichtig schickte Grim einen Heilungszauber in Mias Körper. Dann breitete er die Schwingen aus und stürzte dem Minotaurus nach, der durch den Nebel davoneilte. Kronk und Pyros flankierten ihn, mächtige Feuerzauber loderten in ihren Fäusten, während die Schleier um sie herum zerrissen. Der Dämon floh. Grim lächelte düster. Sollte er es versuchen. Sollte er vor ihnen davonlaufen, sich in den Schatten verstecken oder in den armseligen Katakomben, die seinem Volk nach den Kriegen geblieben waren – das Petroleum war in ihn eingedrungen, sein Duft war mit keiner Magie zu überdecken und würde ihn nicht so schnell wieder verlassen. Und so lange gab es keinen Ort auf der Welt, an dem der Kerl sich verbergen konnte.
Ein heftiger Schub wie von einem elektrischen Schlag durchzog Grims Schläfen. Schmerzerfüllt fuhr er zusammen, auch Kronk und Pyros schienen den Impuls gespürt zu haben, und als er sich gleich darauf wiederholte, begriff Grim, dass es die Schmerzen des Dämons waren, die sie wahrnahmen. Das Teufelszeug von Petroleum hatte ihn geschwächt, mehr als das: Es hatte ihn an seine Grenzen getrieben. Grim fühlte das Blut in seinen Adern, als die Gestalt des Minotaurus vor ihnen auftauchte, und ballte die Klauen. Er würde ihnen nicht entkommen.
Mit mächtigem Schwingenschlag rasten Kronk und Pyros dahin und schickten ihre Zauber durch den Nebel. Der Dunst zerriss wie dünne Kleider, donnernd schlug die Magie vor dem Dämon ein, der sich nur im letzten Moment vor einem Sturz in die auflodernden Flammen bewahren konnte. Mit einem mächtigen Satz erhob er sich in die Luft, doch da entfachte Grim die Diamantfessel in seiner Klaue und schlug sie ihm vor die Brust. Funken sprühten, der Minotaurus wurde durch den Nebel geschleudert und durchschlug mit einem gewaltigen Krachen das
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