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Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
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waren Wölfe. Unerbittlich umfasste der Khranados sie mit seinem Blick. Seine Verletzung war tief, doch er schwankte nicht und wirkte kaum geschwächt. Stattdessen neigte er leicht den Kopf, das Lächeln auf seinen Lippen verstärkte sich, aber es hatte nichts Menschliches mehr. Vielmehr erinnerte es Mia an das Starren großer Raubtiere kurz vor dem Sprung. Sie wusste, dass ihre Magie gegen dieses Wesen nichts ausrichten konnte, und wich zurück, bis sie gegen das Waffenbrett stieß. Instinktiv fasste sie hinter sich, ihre Finger schlossen sich um einen Dolch. Sofort griff er nach ihrer Magie, doch auch wenn sein Gift in ihre Glieder schoss, ließ sie ihn nicht los und richtete seine Spitze auf den Wolf.
    Blaues Licht flammte über die Klinge, der Schein warf sich dem Khranados entgegen und verschmolz mit dem Gold seiner Augen zu einem beeindruckenden Farbenspiel. Etwas wie Belustigung trat in seinen Blick, eine Regung, die Mia an die Rosen denken ließ, die sorgsam in einer Vase drüben auf der Anrichte standen, an die Gemälde der Menschen an den Wänden und die Papiere, die den Schreibtisch bedeckten. Sie dachte an die Gesichter der Figuren im Gang und wusste auf einmal, dass er sie geschaffen hatte in den ewigen Stunden seiner Finsternis. Sie sah ihn auf seinem Diwan liegen, wenn alles dunkel war in diesen Räumen, abgesehen vom flackernden Schein der heruntergebrannten Kerze auf dem Tisch. Ob er das Feuer fürchtete, weil es die Worte verzehren könnte, die er in diesen Nächten niederschrieb, die Gedanken aus der Dunkelheit, die niemand kannte außer ihm selbst und die niemals dem Wind folgen würden, der hinausführte aus den Schatten, die Fessel waren und Heimat zugleich?
    Das Lächeln wich von seinen Lippen, als er langsam näher trat. Mia umfasste den Dolch fester. Die Kraft der Waffe ließ sie schwindeln, aber sie drängte diese Empfindung zurück. Sie versuchte, sich an die Lektionen bei Lyskian zu erinnern, sie musste schnell sein, das war ihre einzige Chance, schnell und … Doch ehe sie auch nur ihren Gedanken beenden konnte, sprang der Werwolf vor. Er packte sie so ungestüm, dass sie seine Bewegungen nicht sah, umfasste ihre Handgelenke und zog sie rücklings an sich. Sein Körper war warm, sie konnte seinen Herzschlag spüren, doch als er ihr Gesicht drehte und sie zwang, ihn anzusehen, begann sie zu zittern. Im ersten Moment glaubte sie, er würde sie sofort töten, ihr die Kehle aufreißen oder sie erwürgen, doch als das Lächeln auf seine Lippen zurückkehrte, langsam und grausam, wusste sie, dass er sich Zeit lassen wollte. Das Gold seiner Augen wurde dunkel, Schatten glitten daraus hervor und umfassten Mias Kehle. Gnadenlos strichen sie über ihre Lippen, schon hüllte tiefste Finsternis sie ein. Sie rang verzweifelt nach Atem, als die Schatten in sie eindrangen und sich die Dunkelheit zu Bildern formte. Sie sah den Khranados als Kind in Menschengestalt durchs Unterholz rennen, den Kopf geneigt, die nackten Füße über den Waldboden wirbelnd, und ohne, dass sie etwas dagegen tun konnte, stürzte sie hinein in das Bild, das er ihr zeigte. Sie sah, wie der Wolf am Waldrand stehen blieb, die Wildheit glomm bereits auf seinem noch kindlichen Gesicht, gemischt mit einer unbestimmten Sehnsucht, als er hinüber zu der Menschensiedlung auf der Lichtung schaute. Golden war das Licht, das aus den kleinen Fenstern brach, Mia fühlte es auf ihrer Haut, als wäre sie es, die aus dem Dunkel hinübersah, und sie spürte den Drang, in ihren Schein zu treten. Sie kannte dieses Gefühl, sie hatte es selbst unzählige Male erlebt, und obwohl sie sich zwang, den Khranados von außen zu betrachten, fühlte sie seine Zerrissenheit und die Frage, die niemand ihm beantwortet hatte, die Frage, wer er war – oder was.
    Er schlich sich hinein in das Dorf, nicht zum ersten Mal, doch als er versuchte, ein Brot aus der Backstube zu stehlen, trat der Bäcker ihm in den Weg. Der Schreck peitschte durch Mias Körper, sie konnte sich nicht vom Khranados lösen, es war, als stünde sie selbst schreckensstarr vor dem fremden Menschen. Sie erwartete, dass er sie schlagen würde, und musste sich erneut zwingen, aus dem Werwolf herauszutreten und ihn von außen zu betrachten. Sie sah die Furcht und den Trotz in seinem Blick – und dann das Erstaunen, als der Bäcker freundlich auf ihn zutrat und ihn hereinwinkte. In rascher Folge wechselten die Bilder, Mia sah den Werwolf in der Wohnstube des Menschen, sah ihn als seinen Sohn

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