Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
Vom Netzwerk:
heranwachsen, sah sie beide am Feuer sitzen, lachend über einen belanglosen Scherz. Sie sah den Jungen älter werden, seine Züge wurden schärfer, sein Körper verlor jede Kindlichkeit, und eines Nachts stand der Mond über den Dächern, riesig und silbern wie ein verfluchter Spiegel.
    Sie wusste, was geschehen würde, noch ehe sie die Schmerzen der Verwandlung am eigenen Leib erfuhr, noch ehe sie die menschliche Hand auf abgenutzten Dielen sah, die sich mit brechenden Knochen in eine Klaue verwandelte, und sie schmeckte das Blut des Rehs auf ihren Lippen nach der ersten Jagd, ebenso wie die Übelkeit, die in der Brust des Werwolfs wütete, und die Furcht, als eines Nachts die Dörfler kamen, um ihn zu töten. Ihr Körper jenseits dieser Bilder begann zu zittern, ihr Herz krampfte sich zusammen, und gleichzeitig fühlte sie den Staub des Bodens unter ihren Fingern, als sie sich in der Ecke seiner Kammer verbarg. Sie sah den Bäcker den Menschen entgegentreten. Sie sprang auf, außer sich vor Angst, und musste zusehen, wie er von den anderen erschlagen wurde.
    MitallerKraftversuchteMia,sichausderSzenezulösen,siewolltenichtindenGedankendesWerwolfsseinbeidem,wasnungeschah – undimselbenMomentsprangsiemitihmvor.Siewares,dieihreKraftgegendieMenschenrichtete,dieihnendieHälseaufrissundsieausweidetewieVieh,undalssieinmittenderLeichenstand,alssiedietotenKindersahunddiegebrochenenAugenderMenschenringsum,dajagtederSchreckdurchihreAdern.Siewaresnicht,diedasgetanhatte – derKhranadoswaresgewesen,undeswareinVersprechenfürdas,waserihrantunwürde.DochschrecklicheralsdasBildwarderFrost,dersichangesichtsdieserSzeneintödlicherGrausamkeitinihrausbreitete,dieKälte,dieerfühlteunddienunauchsievoninnenherausvereiste,ohnedasssieauchnurdasGeringstedagegentunkonnte.UnddennochspürtesiekeineFurcht.GemeinsammitihmwarfsiesichherumundjagtedurchdenWald,soschnell,dassdieSchlägederZweigesietrafenwiePeitschenhiebe.ÜberdeutlichhörtesieseinenHerzschlag,fühlteseinenAtemaufdenLippen,siespürteauchseineGierdanach,siezuzerreißen – abersiewehrtesichnichtdagegen.SieließdieKältedurchihreAdernrasen,ließsichvonihrdurchdringen,understmals,seitsiesieselbstgespürthatte,indeneinsamenNächtennachLucas’Tod,indenGesprächenmitJakob,dernochimmersoweitvonihrentferntwar,undbeijedemBlickindieGesichterderMenschen,diedurchdieseverfluchtegläserneWandvonihrgetrenntwarenundsiealleinließeninderWirklichkeit – erstmalsinallderZeitbegriffsie,wasdieseKältebedeutenkonnte.DieEinsamkeitwares,diedenWolfdurchdenWaldtrieb,siewarderWind,derinzerrisseneKleidungfuhrunddenFrostmitsichtrug,dieSchönheitderWüste,überdiesieniemalssprechenkonnte,daniemandaußerihrsiesah,unddieUnruhedesMondes,dernurscheinbargleichgültiginseinemMeerausWolkentrieb.UndalssiedenKopfindenNackenlegteunddieStimmedesWolfsausihrerKehlebrach,dawusstesie,dassniemandemdiesesGefühlfremdwar,dereinsolchesSehnsuchtslichtverströmenkonnte.SielauschteaufdenTon,derzwischendenBäumenwiderhallte,undlächeltekaummerklich.SiekanntedenSchrecken,mitdemderWolfsie töten wollte. Auf diese Art konnte er sie nicht vernichten.
    Am Boden zu seinen Füßen kam sie zu sich. Der Teppich war weich unter ihren Händen, doch sie fühlte es kaum. Eis bröckelte von ihren Fingern, sie schwankte, als sie aufstand, und als der Werwolf auf sie herabblickte und die Wärme seiner goldenen Augen ihren Körper umfing, da begriff sie, dass er dasselbe dachte wie sie in diesem Moment: Sie waren einander verwandt. Er tauchte in ihre Gedanken ein, nicht durch Magie oder dämonische Tricks, sondern nur dadurch, dass er so war wie sie, und als er den Kopf in den Nacken legte und heulte, da wusste sie, dass sie diesen Ruf auch in sich trug und dass er sie heilen und zerreißen konnte, wenn sie es wollte.
    Sie holte Atem, als sie Lyskians Blick spürte, und wandte sich ihm zu. Langsam kam er auf die Beine, den linken Arm hielt er angewinkelt, als hätte er Schmerzen, und schaute zu ihnen herüber. Schweigend setzte der Werwolf sich in Bewegung. Er ging an seinem Schreibtisch vorüber, die Zettel flüsterten, als er sie streifte, und öffnete eine Tür, die von dicken Vorhängen verdeckt wurde. Kühle Luft wehte herein, und als hätte diese Regung einen Bann gebrochen, neigte er kaum merklich den Kopf. Er würde sie gehen lassen.
    Lyskians Blick war ein tödlicher Schwur, seine Augen zwei Stücke aus Eis, als er an dem Werwolf vorüberging und von diesem nicht weniger feindselig gemustert wurde. Mia jedoch blieb vor ihm stehen, erst

Weitere Kostenlose Bücher