Grim
heranzutreten.
»Aber wer war es dann?« Mia folgte Lyskians Blick in die Schatten der Statuen. Wortlos hob er die Hand, entfachte ein Feuer um seine Finger und erhellte das schmerzverzerrte Antlitz eines Menschen. Nur die Augen wirkten seltsam fremd in seinem Gesicht. Mit kühler Konzentration sahen sie zu ihnen herab, doch bevor Lyskian etwas erwidern konnte, streifte ein Luftzug Mias Wange. Wispernd drang er aus der Dunkelheit des Torbogens und strich sanft über ihre Haut. Ihr Herz machte einen Sprung. Wie sehr hatte sie diese Berührung durch die lebendige Welt vermisst!
Eilig folgte sie Lyskian durch das Tor und wollte gerade ihrer Erleichterung Ausdruck verleihen, als er abrupt stehen blieb. Sein Blick gefror angesichts des Zimmers, in das sie geraten waren. Kostbare Möbel standen an den mit Holz verkleideten Wänden, Teppiche bedeckten den Boden, Ölgemälde in düsteren Farben hingen neben roten Fackeln, und in unzähligen Regalen stapelten sich in Leder gebundene Bücher. Mehrere Torbögen führten aus dem Raum hinaus, teilweise mit purpurnen Vorhängen versehen. Ein Diwan thronte in einer Ecke, und vor einem erloschenen Kaminfeuer stand ein Schreibtisch, der über und über mit beschriebenen Papieren bedeckt war. Es roch nach Tinte und Rauch und ein wenig nach den Blumen, die auf einer Anrichte standen. Rosen waren es, und ihre Blütenblätter waren schwarz.
»Was … «, begann Mia, doch Lyskian schien sie nicht zu hören. Er trat vor ein Wandbrett, an dem etwa ein Dutzend Dolche hingen, silbern schimmernd im Fackelschein. Fasziniert betrachtete Mia die Ziselierungen, die über die Klingen liefen und das Licht prismatisch auffächerten. Als sie sich vorbeugte, hörte sie das leise, sehnsüchtige Summen, das von den Waffen ausging. Da wich Lyskian so plötzlich zurück, dass Mia zusammenfuhr. Seine Augen tränkten sich mit Schatten, während er die Dolche fixierte, und seine Züge verschärften sich wie unter großer Anspannung.
»Was ist mit dir?«, fragte sie kaum hörbar.
Lyskian riss sich los, gewaltsam, und hielt sich an ihr fest, als würden die Klingen nach ihm rufen. »Diese Dolche stammen aus Yskoz, dem Forst des Donners in den Südlichen Karpaten. Sie wurden von den Trollen des Hochmoores vor den Tagen des Ersten Schnees geschmiedet. Ihre Macht schneidet in mein Fleisch, wenn ich sie nur ansehe. Sie sind extrem scharf und gefährlicher als jede andere Waffe, denn sie besitzen die Fähigkeit, Magie abzuziehen. Niemand verwendet sie, außer … «
Das Krächzen war beinahe lautlos, und doch wich Mia das Blut aus dem Kopf, als sie es hinter sich hörte. Sie drehte sich um, hoch oben auf einer Statue der Göttin Athene saß der Rabe mit den Spiegelaugen und schaute zu ihnen herab.
» Und in seinen Augenhöhlen eines Dämons Träume schwelen «, flüsterte Lyskian, und ein Raunen ging durch die Schatten, die sich hinter dem Diwan zusammenzogen. Mia rechnete mit dem entsetzlichen Brüllen des Khranados, der jeden Moment aus der Finsternis brechen würde, doch heraus trat ein Mann mit halblangen, braunen Haaren. Er trug eine weite schwarze Hose, eine Gliederkette zierte seinen nackten Oberkörper, und an seinem Arm glomm ein goldener Reif. Ohne jeden Zweifel war er ein Krieger, doch seine Züge waren ebenmäßig und trugen einen dunklen Adel in sich, der sein Gesicht beinahe schön machte. Er sah jung aus, kaum älter als dreißig Jahre vielleicht, und ein Lächeln lag auf seinen Lippen, das Mia die Furcht von den Schultern nahm. Doch gleich darauf trat er näher, die Schatten wichen aus seinem Blick und sie konnte seine Augen sehen. Sie waren golden.
Im selben Moment bäumten sich die Schatten hinter ihm auf, sie formten die Umrisse des Khranados, der mit mächtigen Klauen zum Sprung ansetzte. Mia stieß einen Schrei aus, doch da sprang Lyskian vor. Er riss sein Schwert in die Luft, Silberfunken liefen über die Klinge und die Waffe schnitt tief durch die Brust des Werwolfs. Blut strömte über seine Haut, aber noch ehe Lyskian ausweichen konnte, holte er aus und traf den Vampir mit solcher Wucht, dass er quer durch den Raum flog und an der Wand aufschlug. Mia hörte splitternde Knochen, dann rührte Lyskian sich nicht mehr.
Atemlos wich sie zurück. Schwarzglühende Wildheit flammte in den goldenen Augen des Khranados auf und ließ sie seltsam fremd in seinem menschlichen Gesicht wirken, wie bei den Statuen am Eingang. Diese Figuren stellten keine Menschen dar, das war ihr jetzt klar. Es
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