Grim
durch das Schwarze Gift und wird Zeit brauchen, um es vollständig aus seinem Leib zu ziehen. Und bis dahin haben wir eine Spur. Morgen Nacht werde ich mit den besten Schattenflüglern Ghrogonias in die Welt der Träume reisen – und der Leiter der Spürnasen wird uns begleiten.«
Remis fuhr so heftig zusammen, dass er beinahe von der Lehne gefallen wäre, doch Mia bemerkte es kaum. Glühend brannte die Sorge um ihre Familie in ihr, und sie fühlte auch Grims Blick auf sich ruhen und spürte sie selbst, die Furcht vor der Welt der Träume. Sie war für einen Menschen nicht zu durchqueren, und auch für einen Zwischenweltler wie Grim barg sie Gefahren, insbesondere dann, wenn ein Wahnsinniger, der gerade unzählige Menschen entführt hatte, über einen großen Teil der dortigen Träume gebot.
»Ihr müsst euch mitten hinein begeben«, sagte sie und schaute Grim an. »Mitten hinein in die Träume, die er beherrscht. Was, wenn … « Sie sprach nicht weiter, doch etwas Sanftes trat in seine Augen. Gerade setzte er zu einer Antwort an, als Lyskian sich ihm zuwandte. Mia erkannte an seinem Ausdruck, dass er in Gedanken etwas zu Grim sagte, doch dieser hob abwehrend die Klaue.
»Nein«, grollte er eine Spur zu heftig und bedachte Lyskian mit einem wütenden Blick.
Mia verschränkte die Arme vor der Brust. »Eine der ersten Lektionen der Etikette, die Theryon mir beibrachte, ist die, dass man nicht in Gedanken miteinander redet, wenn man einen Dritten damit ausschließt. Was habt ihr gerade besprochen?«
Ein Schatten flog über Grims Gesicht, als er zu Lyskian hinüberschaute. Dann beugte er sich vor und nahm ihre Hand zwischen seine Klauen. Sie sah den Widerstreit in seinem Blick, diesen Tanz von Licht und Dunkelheit, der so viele seiner inneren Schlachten begleitete, und für einen Moment dachte sie, er würde es ihr sagen. Doch dann schüttelte er den Kopf. »Es gibt Dinge in der Anderwelt«, sagte er, »die nicht für dich bestimmt sind. Das waren sie nie, und das werden sie auch niemals sein. Selbst, wenn ich dich nicht vor allem bewahren kann, werde ich trotzdem nicht aufhören, es zu versuchen.« Mia wollte etwas erwidern, aber ein Ernst lag in Grims Stimme, der keinen Widerspruch duldete. Sie nickte kaum merklich. »Die Welt der Träume ist nicht ungefährlich«, fuhr er fort. »Aber die Menschen brauchen unsere Hilfe. Wir dürfen keine Zeit verlieren, und die Krieger, die mich begleiten werden, haben schon ganz andere Schlachten geschlagen, ebenso wie ich selbst.«
Remis starrte ihn an, seine Augen waren tellergroß, und er schluckte so laut, dass Mia fast lächeln musste.
»Und abgesehen davon«, sagte Grim und holte tief Atem, »haben wir keine andere Wahl.«
Kapitel 7
Eisiger Wind umtoste den Südturm Notre-Dames, als wollteer den Stein der Kathedrale mit gefrorenen Klingen zerschneiden. Grim spürte ihn in seinem Nacken, doch er ließ sich nichts anmerken und schaute unverwandt über die Dächer der Stadt. Zu deutlich hörte er die Stimmen der ansässigen Gargoyles, als dass er ihnen die Genugtuung gegönnt hätte, einen Einblick in seine Empfindungen zu erhalten, und wenn es nur ein Frösteln war aufgrund des verfluchten Sturms.
In sicherer Entfernung hatten die Snobs der Kirche sich zusammengerottet, Grim fühlte ihre neugierigen Blicke wie Spuckekugeln in seinem Rücken. Sie begriffen nicht, warum der Präsident der OGP in dieser Nacht auf ihrem Turm herumstand, sie fürchteten die Schattenflügler, die in Gestalt von Kronk und Walli auf der Brüstung hockten, und sie ignorierten den Leiter der Spürnasen, der mit trübsinnigem Gesicht auf Grims Schulter hockte und vor sich hin zitterte. Sie hatten noch nie sonderlich viel verstanden, und sie erfassten weder etwas vom einstigen Glanz der Gargoyles noch von der Ehre und dem Mut der Schattenflügler. Alles, was sie interessierte, waren ihre Streitigkeiten mit der Taubeninnung, wenn wieder einmal ein Federvieh vollständig gerupft und peinlich berührt im Dunstkreis der Kirche gefunden wurde. Ohne Frage war dies der Pferdekopf im Bett auf Gargoyle-Art, eine Warnung an den gesamten Clan der jeweiligen Taube und eine Andeutung der Rache dafür, dass die steinernen Köpfe immer ganz genau sagen konnten, was die Tauben den lieben langen Tag über zu sich nahmen. Ihre Nahrung verteilten sie nach ausgiebiger Verdauung nämlich mit Vorliebe auf den Körpern der Gargoyles, und Grim konnte nicht umhin, dem mafiösen Gebaren nicht nur einen gewissen
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