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Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
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Unterhaltungswert abzugewinnen, sondern ihm auch ein gehöriges Maß an Verständnis entgegenzubringen. Dennoch hatten die Steinköpfe Notre-Dames nicht viel mehr im Kopf als die Tauben, die sie verabscheuten. Der einzige mit ein wenig Verstand war Hubertus, ein ziegenhafter Sputatore, der mit Bocus befreundet war, aber auch er konnte Grim nicht in die Augen schauen, ohne dass seine Lider vor Aufregung anfingen zu zucken.
    Grim lächelte unmerklich. Er war sich der Wirkung der Schattenflügler bewusst, und er sah Kronk und Walli vor sich, wie sie auf der Brüstung hockten, als wollten sie sich jeden Moment in die Luft erheben, und deren Blicke starr waren und erbarmungslos, als könnten sie Fleisch und Stein durchdringen. Ihre Gesichter waren regungslos, als würden sie das Gekicher des Pöbels nicht hören, und schon durch ihre geduldige Haltung machten sie deutlich, dass sie große, uralte Krieger waren. Gemeinsam mit Walli hatte Grim in den Tundren der Nördlichen Welt ausgeharrt, um den Wolf der Perchta zu bannen, und noch heute konnte dieser riesige steinerne Bär mit dem struppigen Fell einen ausgewachsenen Werwolf mit einem einzigen Prankenhieb erschlagen und im nächsten Augenblick über die Schönheit einer sternklaren Nacht in Verzückung geraten. Zusammen waren sie in die Unterwelt Prags hinabgestiegen, um die aufständischen Dämonen zurück in die Schatten zu werfen, und Grim dachte an den Geruch der Katakomben, diesen kühlen Duft uralter Gesteine und den Geschmack von Blut auf seiner Zunge. Auch Kronk war an seiner Seite gewesen, dieser Schattenflügler, der den Schwarzen Dschinn Bagdads beinahe im Alleingang bezwungen hatte, und Grim erinnerte sich daran, wie er mit ihm an den Feuern der Dryaden gesessen hatte, damals, als er noch ein Jungspund gewesen war und der graue Schattenflügler ihm die Finten und Tücken eines Lebens als Krieger nähergebracht hatte. Oder daran, wie er auf seinen Knien vor den Leichen der Menschenkinder gelegen hatte, die er nicht hatte retten können, damals in jenem Dorf jenseits des Donnerflusses. Er wusste noch genau, wie er den Kopf gehoben und Kronk angesehen hatte – Kronk, seinen damaligen Major und Vorgesetzten, einen Gargoyle mit eiskalten Augen und einer Stimme, die jedes geflüsterte Wort zu einer Waffe formen konnte. Hör auf zu heulen , hatte der alte Krieger ihm gesagt und ihn auf die Beine gezogen, als wäre er selbst eines der Kinder, die erschlagen am Boden lagen. Lerne, damit du sie retten kannst – das nächste Mal. Damals hatte Grim es erstmals gesehen, das warme, tiefschwarze Lächeln, das nur selten und auch dann nur flüchtig weit hinten in den Augen des Gargoyles aufglomm, und er nickte kaum merklich, als er daran zurückdachte. Kronk hatte ihn gelehrt, was es bedeutete, ein Schattenflügler zu sein. Unzählige Schlachten hatten sie seither gemeinsam geschlagen, Seite an Seite hatten sie gestanden und sich gegenseitig das Leben gerettet, und sie waren Gefährten geblieben bis zum heutigen Tag.
    Grim seufzte unmerklich. Seit einer geraumen Weile warteten sie nun schon auf Vladik und Pyros, und im Gegensatz zu seinen alten Gefährten konnte er seine Unruhe wie immer nur mühsam bezwingen. Am liebsten wäre er auf und ab gegangen, und nur die Vorstellung von den Snobs der Kathedrale, wie sie mit hochgezogenen Brauen Pappschilder mit Wertungen in die Luft hielten und ihn von oben bis unten musterten, als wäre er ein menschliches Unterwäschemodell auf dem Laufsteg, hinderte ihn daran.
    Mit finsterer Miene drängte er diese Gedanken zurück und schaute über die Dächer von Paris, die ihm mit den Jahren so vertraut geworden waren wie der Geruch seiner eigenen steinernen Haut. Er kannte die Anspannung vor einem Auftrag wie diesem, das Kribbeln, das über seinen Nacken zog, und die Konzentration, die sich als kalter Stachel hinter seine Stirn setzte und ihn zwang, jeden Muskel seines Körpers auf einen möglichen Kampf vorzubereiten. Und doch war irgendetwas anders. Das Brennen in seiner Brust schmerzte ihn, und immer wieder brach das Bild des Minotaurus durch seine Gedanken – oder, um genau zu sein, der Blick, mit dem der Fremde ihn durch die Maske hindurch betrachtet hatte. Etwas Suchendes hatte darin gelegen, und auch, wenn er noch keine Worte dafür hatte, kam es ihm so vor, als würde er sich mit jedem Schritt, den er auf den Fremden zutrat, einem Teil seiner selbst nähern – einem Teil, der schon seit Langem in ihm verborgen lag und nur darauf

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