Grim
auf. Kühle Luft strich über ihr Gesicht, und als sie die Augen öffnete, fand sie sich vor ihrem Sessel in Lyskians Bibliothek wieder. Benommen rappelte sie sich auf.
»Zur Hölle noch eins, was war das denn?« Grim kam auf die Beine. Es hatte ihn gegen ein Regal geschleudert, Bücher und Folianten lagen auf dem Boden verteilt. Aufatmend ließ Mia sich in ihren Sessel fallen, und Remis plumpste von einem Kerzenleuchter an der Decke wie eine überreife Pflaume auf seinen Platz auf der Lehne zurück.
Lyskian saß wachsbleich in seinem Sessel. Seine Augen waren schwarz, der Schleier über ihnen flatterte wie ein halb zerrissenes Tuch und zeichnete Schatten auf sein Gesicht. Mühsam zog er die Dornen aus seinem Fleisch und schlug das Buch zu. Seine Wunden schlossen sich rasch, aber er schien es kaum zu bemerken. »Ich hatte es befürchtet«, murmelte er. »Es gibt nicht mehr viele dämonische Artefakte dieser Art, Relikte aus vergessenen Tagen, verfluchte Dinge, die über große Macht verfügen und meist nur eines bewirken: Unheil. Diese Maske galt lange als verschollen. Ich ahnte nicht, dass ich ihr einmal begegnen würde.«
In Grims Augen flammte ein Lächeln auf, als er näher trat. »Offensichtlich passieren auch in dieser Welt noch Dinge, die du nicht voraussehen kannst«, stellte er fest. »Bhaal’vrion hat sie geschaffen, diese Ausgeburt der Hölle, aber was versprach er sich davon? Worin besteht ihre Macht?«
»DieMaskedesBhaalvermages,ihrenTrägerzuverwandeln«,erwiderteLyskian.»SiegibtihmeinanderesÄußeres,dochdasistbeiWeitemnichtalles.IhreGeschichtereichtsehrweitzurück.LangewarsieamHofvonSethos II .imBesitzderAchai,jenerDämonen,dieihreMachteinstdenMenschenunterstellten.DochdannverliertsichihreSpur.Ichweiß,dasssieindieHändePuthorionsgeriet,einesFürstenderVampireausdenAnnalenderErstenZeit,undichhörtevonAkmedios,einemAlchemistenderGargoyles,dermitderKraftderMaskedieMenschenMesopotamiensunterseineFaustzwingenwollte. Oneiroi ,sorieferinjenerNacht,kurzbevorervonseinemeigenenVolkzerrissenwurde. Ihr Träume, ihr Kinder der Nyx! Nehmt sie mit in das Reich, das ich befehlige! «Lyskianhieltinne,langsamstricherdieÄrmelseinesHemdesherunter.»EssinddieselbenWorte, die auch Bhaal’vrion gesprochen hat, als er die Maske erschuf.«
Remis setzte sich auf. »Oneiroi sind in der griechischen Mythologie die Verkörperung der Träume«, sagte er. »Morpheus, Sohn des Hypnos, herrscht über sie, und … «
Er stockte, als Lyskian den Blick hob. Die Augen des Vampirs waren nicht mehr als zwei schwarze Spiegel. »Bhaal’vrion und alle Träger der Maske nach ihm gierten nach Macht über die Menschen, und da kam ihnen dieses Artefakt gerade recht. Denn kein Zauber in dieser Welt oder einer anderen ist mächtiger als ein Traum, und die Maske des Bhaal gewährt dem Träger die Herrschaft über die Träume der Menschen. Mit ihrer Hilfe vermag er es, sie in jene andere Welt zu ziehen, und was auch immer er dort mit ihnen vorhat: Sie unterstehen seiner Gewalt.«
»Soll das bedeuten«, begann Mia und schüttelte den Kopf, »dass Josi und meine Mutter in der Welt der Träume sind?«
Lyskiannicktekaummerklich.»DieseMaskehatdasTorgeöffnet.«
»Und während die Menschen in sie hineingezogen wurden«, sagte Grim, »nutzten Kreaturen aus der Traumwelt die Gelegenheit, ihrerseits die Grenze zu überschreiten. Es waren keine Dämonen, die Mia im Nebel gesehen hat. Es waren Albträume.«
»Deswegen habe ich wie verrückt geniest«, meinte Remis. »Wir Kobolde kennen nur schöne, harmonische Träume, wir wissen bloß vom Hörensagen, was Albträume sind. Wenn wir trotzdem mit ihnen in Kontakt kommen, reagieren wir allergisch.«
Mia zog die Arme um den Körper, auf einmal war ihr eiskalt. »Wir müssen sie finden«, flüsterte sie und bemühte sich vergebens, die Furcht um ihre Mutter und Josi zurückzudrängen. »Aber die Welt der Träume ist unendlich. Wie sollen wir das anstellen?«
»Ihr könnt sie nicht finden«, sagte Lyskian. »Denn der Träger der Maske wird die Träume der Menschen gegen euch verwenden. Und selbst wenn es euch gelingt, zu ihnen zu kommen, könnt ihr sie nicht zurückführen in diese Welt. Nur der Herr über die Maske vermag das – wer auch immer sich hinter ihr verbirgt.«
Grim zuckte mit den Schultern. »Nichts könnte mir gleichgültiger sein. Aber eines weiß ich: Der Kerl wird es bereuen, wehrlose Menschen entführt zu haben. Jetzt wissen wir, wo wir ihn suchen müssen. Er ist geschwächt
Weitere Kostenlose Bücher