Grim
theatralisch. »Ja«, stimmte er zu. »Solange ist alles gut.«
Grim bewegte unauffällig die Klaue in Remis’ Richtung, um ihn gegebenenfalls mit einer geschickten Drehung seines Fingers von der Brüstung zu befördern, sollte er sich einfallen lassen, Carven etwas von ihrer Reise in die Traumwelt zu erzählen. Theryon und Jakob hatten nicht mit ihm über den Nebel gesprochen, und Grim wollte, dass das so blieb. Der Junge sollte seine Zeit im Norden genießen und sich nicht damit herumschlagen, was weit fort von ihm in Paris oder anderen Welten vor sich ging. Doch Remis seufzte nur noch einmal und blickte mit sehnsüchtigen Augen in den Wald, der hinter Carven lag.
»Nun ja«, sagte Carven und schaute betreten zu Boden. Dann sah er Grim an, so ernst wie immer, wenn er eine Frage stellte, die Grims Schale durchbrechen konnte. »Und dem Drachen geht es gut, ja?«, fragte er leise.
»Ja«, erwiderte Grim. »Er schläft die meiste Zeit, aber du hast ihm ein paar tolle Kunststücke beigebracht. Schade, dass Aufräumen nicht darunter ist … « Er lachte ein wenig heiser und sagte dann: »Es geht ihm gut, dem Drachen. Er … vermisst dich.«
Remis sah so abrupt auf, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte, und starrte Grim mit unverhohlener Belustigung an. Doch dieser achtete nicht darauf. Alles, was er wahrnahm, war das Lächeln auf Carvens Gesicht.
»Gut«, sagte der Junge beinahe erleichtert. »Das geht mir auch so.« Remis fing an zu grinsen, doch da griff Carven nach dem Pieper und gähnte. »Ich weiß nicht, ob ich mich in den nächsten Tagen melden kann, Theryon meinte, dass Andriwan technische Geräte nicht leiden kann. Er ist ein bisschen wie du, oder?«
Grim nickte düster. In der Tat hatte er einige Gemeinsamkeiten mit dem Windriesen. Vielleicht hatte es auch daran gelegen, dass Andriwan ihn eines Tages eigenhändig von seinem Berg geworfen hatte, mit dem Kopf voran. »Mach dir keine Gedanken«, erwiderte er. »Sag den anderen, sie sollen dir keinen Wein mehr geben, sonst bekommen sie es mit mir zu tun. Und pass auf dich auf.«
Carven lachte. »Gebt auch auf euch Acht, und Remis: Schone dich die nächsten Tage!«
Remis hatte noch Zeit, um Luft zu holen, dann schaltete Carven das Gerät aus.
»Wenn der wüsste«, murmelte der Kobold und öffnete gerade den Mund für eine weitere Jammer-Arie, als Schwingenschläge die Luft durchzogen und Pyros und Vladik auf dem Turm landeten. Sie trugen magische Schlingen und Bannschnüre bei sich und übergaben Grim nach kurzer Begrüßung ein Seil, an dessen Ende ein schmaler Gürtel befestigt war.
Grim schlang sich zwei Bannschnüre ums Handgelenk und hielt Remis das Seil hin. Der Kobold schaute von den glitzernden Fesseln zum Seil und wieder zurück. »Was soll ich damit anfangen?«, fragte er in ehrlichem Erstaunen. »Soll ich mich mit einer Hundeleine verteidigen, wenn mich eine neunköpfige Schlange angreift, die irgendeinem Menschentraum entsprungen ist? Soll ich sie damit erwürgen, oder wie?«
»Diese Hundeleine dient deiner Sicherheit«, stellte Grim fest und schnallte Remis blitzschnell den Gürtel um den Leib, während er das andere Ende in der Hand behielt. »Du hast es selbst gesagt: Du bist kein Zwischenweltler, und daher besteht die Gefahr, dass du dich in der Traumwelt verlieren könntest. Deshalb werde ich auf dich aufpassen.«
Entgeistert folgte Remis dem Leinenverlauf vom Gürtel bis zu Grims Klaue mit seinem Blick. »Ich bin doch kein Hund!«, kreischte der Kobold und bekam wütende Flecken im Gesicht, die Grims Laune auf der Stelle hoben.
»Nein«, stimmte er ihm zu. »Ein Hund würde niemals auf die Idee kommen, so viel zu meckern wie du.«
Mit diesen Worten nickte er den Schattenflüglern zu, und bevor Remis etwas erwidern konnte, wechselten sie in die Welt der Träume. Grim hörte noch die aufgeregten Stimmen der Gargoyles Notre-Dames, dann begann der Nachthimmel über ihnen zu flattern. Remis sauste auf seine Schulter, die Umgebung verschwamm zu rauschenden Schleiern, und Grim fühlte magische Ströme über seine Haut gleiten wie heißes und eiskaltes Wasser. Dann fuhr ihm ein Windhauch ins Gesicht und zwang ihn zu einem ersten Atemzug in der anderen Welt. Kühl strömte die Luft in seine Lunge, die Schleier um ihn herum verwoben sich zu samtenen Farben, und er fand sich auf einer nächtlichen Wiese am Rand eines Waldes wieder. Pflanzen mit großen, weichen Blättern bewegten sich im Wind, irgendwo erklang der Ruf eines
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