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Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
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Blitz, und als er sich umwandte und Verus vor der Orgel stehen sah, der schmalen schwarzen Orgel von Monsieur Pité, da erkannte er, dass der Dämon sich die Kraft dieser Kirche nicht genommen hatte. Er stand nur da, beinahe regungslos, und strich leise lächelnd mit der Hand über die alten Tasten.
    Du wunderst dich , sagte Verus und nickte, als würde er keine Antwort erwarten. Das überrascht mich nicht. Denn ich, ein Dämon und dein Feind, stehe in deiner Dunkelheit, stehe hier und könnte dich auseinanderreißen, wie du es mit dem Labyrinth der Schatten getan hast, ich könnte dich brennen lassen wie den Wassermann und dich in deine eigene Finsternis hüllen, bis du keine Gedanken mehr hast als die meinen. Aber ich werde es nicht tun.
    Er verstärkte sein Lächeln, als er einen Ton auf der Orgel anschlug und Grim zusammenfuhr. Die Musik setzte sich fort, es war ein altes Lied, das nun um die Säulen der Kirche strich, und Grim fröstelte, als er die bleichen Hände von Monsieur Pité über die Tasten fliegen und gleich darauf wieder verschwinden sah.
    Du schwebst schon lange, fuhr Verus fort und seine Stimme klang so sanft, dass Grim den Zorn vergaß, der in seinen Schläfen pochte. Zwischen Mensch und Gargoyle, Liebe und Hass, Dunkelheit und Licht. Es wird Zeit, das zu beenden, mein Freund. Ich will dich fliegen sehen, Kind des Feuers! Und du bist kurz davor, ich sehe dich am Abgrund, genau dort, wo ich dich haben wollte seit so langer Zeit. Du kannst fliegen oder fallen – doch ich werde dich nicht zwingen. Ich will, dass du dich entscheidest. Entscheide dich für den Weg deiner Bestimmung. Doch dafür … erinnere dich!
    Grim stieß die Luft aus. Die Aufstände Prags liegen lange zurück, erwiderte er. Ich war jung damals und unerfahren, und ich kann mir nur zu gut vorstellen, welche Lügenmärchen du mir erzählt hast, als ich auf den Knien zu deinen Füßen lag. Ich zweifle nicht daran, dass du mich auf deine Seite ziehen wolltest, und vielleicht wäre ich dir gefolgt, wenn …
    Da lachte Verus auf. Nein, keine Lügen waren es, und du weißt das! Was hast du getan, als du damals in der Welt der Götter warst, um die Flamme zu holen, damals, als du dem Menschenjungen sein Licht zurückgegeben hast? Welche Farbe hatte dein Himmel? War er golden, Grim? So golden wie mein Schatten? Er legte den Kopf in den Nacken und lachte noch einmal, schallend und klar. Erinnere dich, erinnere dich, heimatloser Hybrid! Ich bot ihn dir schon einmal an, diesen Himmel, und du wärest ihm fast verfallen! Nicht mir wärest du gefolgt – sondern ihr!
    Sein Lachen wurde lauter, es drang Grim ins Mark und die Worte des Dämons klangen mit Übermacht in ihm wider. Wie vom Schlag getroffen taumelte er zurück, blitzlichtartig zuckten Bilder vor seinen Augen auf, und als die Kirche um ihn herum verschwamm, fiel er auf die Knie. Er spürte den Sand der Katakomben unter seinen Fingern, er roch ihren Duft wie damals, und er fühlte Verus’ Präsenz so deutlich auf seiner Haut, als würden Schleier aus Feuer darüber hinstreichen. Erst dann nahm er die dumpfe Leere wahr, die auf einmal durch seine Glieder pulste, und er wusste, woran das lag: Er spürte die Kraft der Flamme nicht mehr. Stattdessen raste das Brennen mit alter Kraft durch seine Brust und schickte eine Hitze in seine Schläfen, die er kaum ertrug. Etwas in ihm schrie nach der Kälte, nach ihrem erstickenden Atem auf seiner Haut und ihrer Dunkelheit, und wie damals in den Katakomben und auf dem Boden des Vladislav-Saals wusste er auch jetzt, dass er eine Entscheidung treffen würde, sobald er Verus in die Augen sah – diese goldenen Augen, die ein Versprechen waren. Sein Blick glitt zur Gestalt des Dämons, streifte seine bloßen Füße, das einfache Leinengewand und das schmale, fast zarte Gesicht des jungen Mannes – und dann erwiderte er seinen Blick.
    Verus’ Augen strahlten in goldenem Licht, einem Licht von solchem Glanz, dass Grim seine Schönheit nicht begreifen konnte. Hingegeben starrte er in die Flammen, er ertrug das Brennen in seiner Brust nicht länger, die Glut hinter seiner Stirn, die sich diesem Schein entgegenwarf. Ein Himmel war es, der in diesen Augen lag, ein Himmel, der Kälte und unendliche Ruhe versprach, und er hörte Verus’ Worte, er wollte ihm folgen, er hatte es schon immer gewollt. Es schien ihm, als wäre die Flamme ein Heilungszauber, dessen Kraft von Verus’ Blick geschürt wurde, es war so leicht, in ihre Glut zu fallen, sich ihr zu

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