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Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
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sah es in der Welt der Menschen aus.
    Mia schlang die Arme um den Körper, als sie daran dachte, wie sie hinaufgegangen war in die Oberwelt. Die Morgensonne hatte weiß und gleißend am Horizont gestanden und ihre Strahlen unbarmherzig über die Stadt des Lichts geschickt. Mia sah die glänzenden Dächer vor sich, den Rauch, der vereinzelt aus den Schornsteinen stieg, und sie erinnerte sich an die Stille – eine Stille, die sie mitunter auch an gewöhnlichen Tagen und mehr noch in gewöhnlichen Nächten empfunden hatte. Es war eine Ruhe, in der jedes Geräusch verstummte. Sie hörte keine Autos mehr, keine Stimmen, nicht einmal das Singen der Vögel. Sie vernahm nichts als ihren eigenen Atem, für einen winzigen Augenblick bloß – doch dieser Moment bedeutete alles. Er gab ihr das Gefühl, dass die Welt, in ihrer Schönheit, ihrer Grausamkeit und ihrer Kälte, für diese kurze Zeitspanne ganz allein für sie da war, damit sie sie erkannte, erlebte, spürte – damit sie sie ansah . Mia hatte diese Augenblicke immer geliebt, und als sie an diesem Morgen über die Dächer von Paris geschaut hatte, wollte sie glauben, dass es nur einer dieser Momente war – ein flüchtiger, vergänglicher Schimmer. Doch die Stille blieb, und als sie das Rascheln der Blätter hörte, das Plätschern eines Brunnens in der Nähe und das Gurren der Tauben, da erschrak sie so heftig, dass sie zusammenfuhr. Die Menschen waren fort, alle Menschen – und das nicht nur in Paris. Mia hatte sich an die Kehle gegriffen, weil die Stille ihr den Atem nahm, und sie war zurück in die Schatten geflohen. Gerannt war sie, hinein in die Dunkelheit der Katakomben und das Treiben Ghrogonias, doch das Bild des reglosen Paris, eine erstarrte, kalte, tote Stadt, folgte ihr.
    Mia schaute zu Grim hinüber, der mit finsterer Miene an seinem Schreibtisch saß, den Blick in die Ferne gerichtet. Remis lehnte an einem Stapel Akten, die Arme vor der Brust verschränkt, und seufzte von Zeit zu Zeit, und im Sessel gegenüber saß Lyskian, schweigend und regungslos. Mourier hatte sie vor Stunden in Grims Büro bestellt, um die Lage zu besprechen, doch nun ließ er auf sich warten, und die Ungeduld brachte Mia fast um den Verstand. Verus hatte den brechenden Schutzzauber der Stadt genutzt, um sich und seine Schergen in Sicherheit zu bringen, und seitdem war er wie vom Erdboden verschluckt. Wie gern wäre sie einfach losgezogen, um ihn und seine verfluchten Dämonen zu suchen, aber sie wusste, dass es sinnlos war. Grim hatte Schattenflügler entsandt, auch Spürnasen waren im Einsatz, sie würden sie schneller finden als eine geschwächte Hartidin. Sie fuhr sich an die Schläfen, noch immer fühlte sie die Nachwirkungen des dunklen Banns, den Verus auf sie gelegt hatte. Kurz tauchte Seraphin vor ihrem inneren Auge auf, sein Lächeln, sein Zorn, als er sie gerettet hatte, und ein Hauch von Wärme flog über ihren Körper. Doch sie konnte sein Bild nicht festhalten. Wie Grim hatte er sich mit Verus eingelassen, und wieder sah sie dessen goldene Gestalt inmitten seiner Schergen über den Dächern Ghrogonias, kurz bevor sie allesamt verschwunden waren. Nie zuvor hatte sie etwas Ähnliches gesehen. Car’lay Ythem. Kinder des Zorns. Dämonen. Es war ein entsetzlicher Anblick gewesen und gleichzeitig ein Bild namenloser Schönheit. Seit ihrem Abenteuer um die Feen hatte Mia einiges über dieses Albenvolk gelernt. Wie die Zwerge gehörten sie zu den Aspuri, den Dunkelalben, die sich jedoch früh in eine gänzlich andere Richtung entwickelten als ihre einstigen Verwandten. Nha’rs As’kanor wurden die Dämonen in der Sprache der Alben genannt, Schatten des Geistes , weil Us’vuril und Kar’monthas, die ersten ihrer Art, einst ihre Körper verließen, um einer immer stärker werdenden Gier nach einer freien, grenzenlosen Existenz zu folgen. Arrmonghur . Das Wort ließ Mia frösteln, und sie dachte an die Finsternis auf Theryons Zügen, als er ihr von den Fähigkeiten der Dämonen berichtet hatte. Zunächst war es nicht mehr als ein Spiel , klang seine Stimme in ihr wider . Doch zunehmend häufiger verließen die Kinder des Zorns mit Hilfe dunkelster Rituale ihre Körper und erfuhren, was es bedeutete, deren Beschränkungen nicht länger zu unterliegen. Sie glaubten, alles tun zu können, und eines Tages fanden sie den Weg in ihren Leib nicht mehr zurück. Also suchten sie sich Wirte, in die sie einfuhren, doch diese wurden nie mehr für sie als hochkomplizierte Maschinen,

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