Grim
strafte ihn nur mit einem müden Blick und wandte sich an alle.
»Ich ließ euch rufen, weil eine der schlimmsten anzunehmenden Katastrophen Ghrogonia getroffen hat«, begann er düster. »Die Dämonen wurden befreit, jene Geschöpfe, die wir seit Jahrhunderten gefangen hielten. Verus hat sich zu ihrem Anführer aufgeschwungen, er eint sie wie einst in den Aufständen von Prag. Schon damals wollte er die Herrschaft der Gargoyles brechen, und seither hat er ausreichend Zeit damit zubringen können, an seinen Plänen zu feilen. Ihr habt seine Drohung gehört, und eines ist sicher: Verus ist niemand, der leere Versprechungen macht. Er meint, was er sagt. Er will Rache.«
»Und er wird sie bekommen, wenn wir ihm nicht zuvorkommen.« Grim schob seinen Sessel zurück und begann, im Raum auf und ab zu gehen. Er hatte kein Auge zugetan seit der Befreiung der Dämonen und nun, als er sich über den Nacken fuhr und kurz am Fenster stehenblieb, hätte Mia gern seine Klaue genommen, um die Mauer, die er wie immer in solchen Situationen um sich zog, zu durchbrechen. Doch Grim war mit den Gedanken weit fort, sie wusste, dass sie ihn jetzt nicht erreichen konnte.
»Verus hat die Menschen in seine Gewalt gebracht«, fuhr Mourier fort. »Und auch, wenn wir noch nicht wissen, was er mit ihnen vorhat, spüren wir bereits jetzt die Auswirkungen ihres Verschwindens. Die Sammelstationen leeren sich zusehends und, es ist klar, was geschieht, wenn wir keinen Zugriff mehr auf die Träume der Menschen haben.«
Remis nickte ernst, als hätte er genaue Kenntnis darüber, was es bedeutete, keine eigenen Träume haben zu können. Mia senkte den Blick. Sie dachte an Pheradin, den alten Gargoyle, der inzwischen hochangesehener Senator Ghrogonias war und den sie damals vor zwei Jahren weit unter den Straßen Roms gefunden hatten. Er war vor dem Leben geflohen, hatte über eine sehr lange Zeit nicht mehr geträumt und war dem Wahnsinn nahe gewesen, ebenso wie Thoron, der einstige König Ghrogonias, der die Träume im Übermaß zu sich genommen hatte. Mia schauderte, als sie an sein Ende dachte. Nur einmal hatte Grim ihr davon erzählt, von dem Blick des Königs, als er sich das Herz aus der Brust gerissen hatte – doch dieses eine Mal hatte genügt, um ihr für immer ein Bild davon in den Kopf zu pflanzen. Angespannt fuhr sie sich durch die Haare. Die Träume der Menschen waren lebensnotwendig für die Gargoyles. Ohne die Träume waren sie dem Untergang geweiht.
»Und so, wie die Gargoyles geschwächt werden, wird Verus seine Dämonen im Geheimen stärken«, sagte Theryon. »Bis sie genug Kraft gesammelt haben, um die Anderwelt mit Krieg zu überziehen.«
Remis sog so schnell die Luft ein, dass er sich verschluckte. » Stärken? «, japste er und riss die Augen auf. »Waren die etwa noch nicht stark genug? Ich habe einen Schemen mit drei Köpfen gesehen, und … «
Grim bedachte ihn mit einem abschätzigen Blick. »Du sagst es, Elfenkrieger: Schemen hast du gesehen. Das Diamantfeuer hat den Dämonen beinahe ihre gesamte Kraft genommen, und dennoch konnten sie Ghrogonia innerhalb kürzester Zeit in ein Trümmerfeld verwandeln. Es wird einige Zeit brauchen, bis sie zu alter Stärke zurückgekehrt sind – doch wenn das gelungen ist, werden wir mit anderen Dingen konfrontiert sein als mit dreiköpfigen Schemen, so viel steht fest.«
Remis schluckte hörbar, während Mourier langsam den Kopf schüttelte. »Ein Krieg gegen die Dämonen würde zahlreiche Verluste auf allen Seiten bedeuten. Und schon jetzt wären die Menschen für die Kinder des Zorns nicht mehr als Kanonenfutter.«
»Dämonensindstreitsüchtigundschwerzubeherrschen«,grollteGrim,undeindunklesFlackerngingdurchseinenBlickwieeinLächeln.»ErstVerusistesgelungen,sieunterseinemWillenzuvereinen.Ihmfolgensie,eristderKopfdesGanzen.Wennwirihnfangen,werdensichdieDämoneninUneinigkeitaufreibenundzerstreuen.«
»Noch sind sie geschwächt durch die jahrhundertelange Folter«, stellte Jakob fest. »Wir können die Verluste gering halten, wenn wir sie schnell finden.«
»Ja«, erwiderte Mia. »Wenn. Aber seit Stunden suchen Spürnasen und Schattenflügler nach ihnen, ohne Erfolg.«
Mourier nickte düster. »Ich habe alle verbliebenen Kräfte der OGP mobilisiert. Die Schattenflügler sprechen sogar mit einstigen Verbündeten der Car’lay Ythem, aber … es ist wahr, sie haben keine Fährte aufnehmen können.«
Für einen Moment herrschte Schweigen, aber es war ein Schweigen, das Mia schon
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