Grim
Grim spürte kaum, wie er die rechte Klaue in den Stein der Straße grub. Er hörte nur die Schreie seiner Gefährten, als die Dämonen ihre Macht entfesselten, sah die schrecklichen Leiber, die sie heraufbeschworen, und er fühlte die Macht, die in diesen Car’lay Ythem lauerte, obgleich sie noch kaum mehr war als ein Schatten dessen, was sie schon bald wieder sein würden. Er atmete schwer und ertrug den Anblick kaum, als die besessenen Schattenflügler sich auf Kronk stürzten. Wie der letzte Krieger auf einem Schlachtfeld gegen eine Übermacht riss er die Faust in die Luft, er schlug Pyros zurück, als dieser ihn packen wollte, und kurz sah Grim seinen alten Gefährten wieder auf den Kriegsschauplätzen alter Zeiten, die Augen in schwarzer Glut entflammt, ein Bollwerk aus Dunkelheit zwischen Licht und Schatten, ein Held in den Annalen des Steinernen Volkes, ein Krieger, ein Schattenflügler – und sein Freund. Dann rissen zwei besessene Gargoyles Kronk den Kopf zurück, Walli und Vladik packten seine Arme, und als der Umriss eines Dämons in seinen Leib drang und ein grausames, fremdes Lächeln auf seinen Zügen entfachte, zerriss ein Brüllen Grims Lunge, das die umstehenden Häuser zum Erzittern brachte.
Da strich goldenes Licht über die Dächer. Verus raste in den funkensprühenden Himmel der Stadt, und während die Schattenflügler ihm folgten, als wären sie seine Leibgarde, zog er sich die Maske des Bhaal übers Gesicht. Sofort glitten Flammen über seinen Körper, das goldene Licht wurde heller, und als er dort oben schwebte, umgeben von seinen Dämonen, den Kopf hoch erhoben, da sah er für einen Moment tatsächlich aus wie der Engel, als der er vielen Menschen so oft erschienen war: ein Wesen in vollendeter Schönheit und Grausamkeit.
In tausend Stimmen flog sein Zauber über die Dächer Ghrogonias, Grim fühlte die Alte Sprache der Dämonen als glühende Scherben in seiner Haut, und er sah zu, wie das Zepter der Menschen zu leuchten begann, wie seine Magie sich mit der Kraft des Zaubers verband und unzählige Flammen sich als gewaltiger Strahl in die Höhlendecke entluden. Sie drangen durch die Schatten bis hinauf zur Oberwelt, er meinte, sie aus dem Inneren der Erde brechen zu sehen, erkannte die Welt der Menschen, die den Atem anhielt und zu den funkensprühenden Schwärmen aufschaute – und er hörte das Dröhnen, das die Luft zerriss, als das Feuer des Dämons auf sie niederstürzte.
»Car’lay Ythem!«, brüllte Verus in die anschließende Stille hinein und richtete das Zepter der Menschen auf Mourier und die Schattenflügler, die sich ihm näherten. »Das ist es, was wir sind! Wir sind die Kinder des Zorns, und ihr werdet begreifen, was das bedeutet! Keiner von euch kann ermessen, was mein Volk erdulden musste in dem Kerker, in den ihr es gesperrt habt! Doch ihr werdet unseren Zorn spüren, ihr ebenso wie die Menschen, über die ich herrsche! Bald, sehr bald schon werdet ihr ihnen folgen!«
Er legte den Kopf in den Nacken und lachte, und mit jedem Ton rief er die fallenden Scherben des Großen Walls zu sich. Zischend glitten sie durch die Luft, sie begannen zu flirren und hüllten die Dämonen ein, die wie eine drohende Wolke über der Stadt schwebten. Grim sah Verus’ Gesicht inmitten des Chaos, er hörte die Worte des Zaubers, die er murmelte, und er schrak zusammen, als die Scherben mit gewaltigem Donnern zerbrachen. Für einen Moment wurden die Kinder des Zorns in flammenden Rauch gehüllt. Dann zerriss er mit rauschendem Knistern – und sie waren verschwunden.
Kapitel 12
Mit angezogenen Schultern stand Mia am zerbrochenen Fenster von Grims Büro und schaute auf die Dächer der Stadt. Leise strich der Wind über das Glas, ließ es singen und trieb den Ton wie ein Requiem über die dunklen Löcher in den Häuserzeilen, die Trümmer eingestürzter Gebäude und die Ascheschwaden, die ruhelos durch die Gassen strichen. Unheilvoll lag der Schatten des halb zerrissenen Dorns über den Straßen, Rauch drang aus seinen Fenstern wie schwarzes Blut.
Die Bewohner Ghrogonias hatten bereits mit dem Wiederaufbau ihrer Stadt begonnen. Die Dämonen hatten der Anderwelt eine Wunde geschlagen, die für sehr lange Zeit nicht heilen würde, und doch lag unbeugsamer Trotz in den Augen der Ghrogonier, der feste Wille, die Stadt zu alter Stärke zurückzuführen. Die Verwüstungen waren schlimm, aber die Stadt würde genesen, denn das Leben in ihr würde sie nicht sich selbst überlassen. Ganz anders
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