Grim
Remis schwirrte so nah an das Buch heran, dass die Funken über sein Gesicht flackerten, und Grim hörte die Worte der Alten Vampirsprache über Mias Lippen dringen.
»Hort der Nacht«, übersetzte sie. »Bewahrerin der Ewigen Fesseln und Herz der Rhak’ Hontay.«
Langsam erlosch der Funke. »Interessant«, stellte Grim fest und warf Lyskian einen Blick zu. »Wie wäre es, wenn du uns so langsam mal erzählst, wonach genau wir eigentlich suchen? Was ist das für eine Akademie, die in diesem ungeheuer kostbaren Buch mit nicht mehr als einem einzigen Satz beschrieben wird?«
Er legte seinen gesamten Ärger in seinen Blick, doch Lyskian sah ihn nicht einmal an. Angespannt schaute der Vampir auf das Buch. »Lhor’na Phrakam’thin«, murmelte er. »Die Akademie der Rhak’ Hontay ist ein Ort der Dämmerung. Sie wurde zur Hochzeit der Dämonenjäger von den fünf Ersten ihrer Art gegründet, damals, als sie noch als Helden verehrt wurden, und brachte die besten Jäger aller Zeiten hervor. Doch selbst, als die Furcht vor ihnen längst auch ihr eigenes Volk ergriffen hatte, hielt dieser Ort der Verfolgung stand, denn niemand außer den Jägern selbst wusste, wo er sich befand. Die Akademie gilt als Bastion gegen das boshafte Dämonentum und als das Herzstück dessen, wofür die Rhak’ Hontay standen. Seit der Verfolgung durch Thoron soll sie ein Schutzraum vor seinem Hass gewesen sein.«
Grim nickte düster. »Wenn es einen Hinweis darauf gibt, wo die Jäger jetzt sind, werden wir ihn also dort finden.«
»Vielleicht sind sie noch dort«, murmelte Remis und räusperte sich, weil seine Stimme nach all der ungewohnten Zeit des Schweigens heiser geworden war. »Aber wenn keiner weiß, wo die Akademie ist, dürfte es schwierig sein, sie aufzuspüren, nicht wahr?«
Grim hätte beinahe laut gelacht, als der Kobold mit detektivischer Miene die rechte Augenbraue hob und sich übers Kinn strich, und selbst über Lyskians Gesicht flog ein Lächeln. »In der Tat«, erwiderte dieser. »Aus diesem Grund habe ich euch hierhergeführt. Denn dieses Buch birgt mehr, als man auf den ersten Blick sieht.«
Ohne ein weiteres Wort zog er einen schmalen Dolch aus seinem Mantel und strich beinahe zärtlich über seine Handfläche. Sofort rann schwarzes Blut über seine Finger und tropfte auf den Eintrag über die Akademie der Schatten.
»So ist das also«, sagte Grim. »Andere dürfen es noch nicht einmal mit dem kleinen Finger anstupsen, aber ein Blutsauger wie du kann es vollschmieren, dass … «
Noch ehe er seinen Satz beendet hatte, zog Lyskian seine Hand zurück. Das Blut füllte die Linien der Buchstaben aus, und plötzlich stob mit lautem Knall eine Rauchwolke aus dem Buch. Hustend schwirrte Remis in die Luft, Grim wich zurück und Mia strich sich die mit Aschepartikeln bestäubten Haare aus der Stirn. Nur Lyskian stand unverändert da und ehe Grim ihn am Kragen packen und seinen Plan von Blutsauger-und-Buch-an-Wand doch noch umsetzen konnte, puffte es in dem verfluchten Rauch noch einmal, und das Antlitz eines Dschinns erschien in den Schleiern.
Es war ein männliches Gesicht mit vernarbter Haut, eingefallenen Wangen und tiefschwarzen Kohleaugen. Goldene Ringe hingen am linken Ohr, Tätowierungen zogen sich über den kahlen Schädel, und sein Körper, der nach unten hin kleiner wurde und in den Buchstaben verschwand, steckte in einem unförmigen, mit winzigen Karos übersäten Anzug. Der Dschinn schaute in die Runde, und sein Mund verzog sich zu einem spöttischen Grinsen.
»Ach, sieh an«, sagte er, und kurz hörte Grim noch einmal das Flattern der Seiten, als würde es aus seinem Mund kommen. »Habe mich schon gewundert, wer mich aus diesem Wort herauszwingt. Muss zugeben, dass ich mit so etwas nicht gerechnet hätte. Ein Vampir, ein Mensch, ein Hybrid und ein … « Er hielt inne und stob auf Remis zu, während sein linkes Auge urplötzlich aus seiner Höhle sprang und wie ein Flummi in seiner Hand landete. Blitzschnell hielt er es Remis vor die Nase, ehe er es einmal rings um ihn herumfliegen ließ. »Was bist du, ein Klabauter? Ein Winzling? Ein grüner Fisch mit Nase und Fell? Nein, ich hab’s! Ein fliegender Fisch, nicht wahr?«
Empört stemmte Remis die Fäuste in die Hüfte. »Ich bin ein … «, begann er, doch der Dschinn lachte so laut, dass eisiger Wind aus dem Buch stob, und nickte eifrig.
»Freut mich sehr, Ichbinein!« Er wischte sich die freie Hand an seiner Hose ab und hielt sie Remis entgegen, der
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