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Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
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entfernte Verwandte der Geister, andere hielten sie für vergessene Gedanken, die niemals den Weg aufs Papier gefunden hatten, oder Figuren aus einem Buch, das gerade niemand las. Und einige vertraten die Meinung, dass sie verfluchte Dichter wären, die ihre Geschichten oder ihre Stimme verraten oder verloren hatten und nun in ewiger Stille ausharren mussten, bis sie sie wiederfänden. Denn ein Buchling, so hatte Grim es gelernt, sprach niemals auch nur ein einziges Wort. Die Rhezotonen sahen aus wie sehr dünne Menschen, die meisten von ihnen waren kaum größer als zehnjährige Kinder, und sie trugen Gewänder aus dünnem, aschefarbenem Stoff, der ihre Leiber umschwebte wie Morgennebel. Ihre Haut war grau wie die Seiten uralter Bücher, ihr Haar schlohweiß, und ihre Augen waren so groß, dass Grim die Buchstaben in ihnen erkennen konnte, die sich immer wieder durch das wirbelnde Schwarz der Iris schoben und gleich darauf wieder darin versanken. Bruchstücke waren es, Gedankenfetzen aus einer anderen Welt, aus Geschichten, Liedern, Erinnerungen, und doch schienen sie Sinn zu ergeben, einen Sinn, den Grim sich nicht erklären konnte und der von einer vibrierenden, dunklen Poesie durchflossen wurde. Er sah ihnen zu, wie sie durch die Gänge glitten, wie sie auf allen Vieren die Regale erklommen, um ganz oben ein Buch zurückzustellen, oder aus ihren rätselhaften Augen zu ihm herüberschauten, als würden sie sich bemühen, seine Geschichte zu lesen, um sie in ihren Kosmos aus wirbelnden Worten aufzunehmen und zu etwas Größerem zusammenzufügen.
    Erst, als Mia erschrocken zusammenfuhr, bemerkte Grim die Schatten, die wispernd aus den Nischen zwischen den Regalen glitten. Sie sahen aus wie verbrennendes Papier, viele hatten menschliche Umrisse, andere wirkten wie Fabelwesen, und sie stoben auf Mia zu, so schnell, dass Grim ihren Bewegungen kaum folgen konnte. Doch sofort glomm Lyskians Zauber auf Mias Stirn auf und sandte ein bläulich schimmerndes Licht aus, das die Schatten zurücktrieb. Grim griff nach Mias Hand und zog sie an sich. Ihre Sterblichkeit war an diesem Ort wie ein Regenschauer in der Wüste, und er fühlte, wie ihm das Verlangen danach entgegenschlug aus den Reihen der Bücher, aus den Blicken der Vampire und selbst aus der Luft, die sie als gieriges Tier umschmeichelte und nach ihren Haaren griff. Dieser Ort war ein Platz der ewigen Finsternis. Er war nicht für sterbliche Augen bestimmt.
    Lyskian fixierte die Schatten, bis sie sich vollständig zwischen die Regale zurückgezogen hatten. Dann setzte er seinen Weg fort. Zielstrebig führte er sie aus dem Kirchensaal hinaus durch Korridore und Leseräume. Ein sanfter Schimmer hatte sich auf das Gesicht des Vampirs gelegt, und obwohl Grim wusste, dass er Lyskians Leidenschaft für das geschriebene Wort nie vollends begreifen würde, konnte auch er sich der Faszination dieses Ortes nicht entziehen. Sie gelangten über Treppen tiefer hinab in die Keller der Bibliothek, die sich wie ein unterirdischer Bienenstock ins Erdinnere gegraben hatte, sahen Brüstungen in schwindelerregender Höhe, lederbezogene Sitzgruppen und Kirchenbänke, deren Holz abgenutzt war von jahrhundertelangem Gebrauch. Verblichene Pergamentstücke hingen an den Wänden, Fluchtafeln glommen in rotem und weißem Licht, und aus den Regalen starrte ihnen manche zerfressene Büste entgegen. Die Zeit hatte den Stein dieser Abbilder zerstört, doch die Worte, die in den Büchern ringsherum zu lesen waren, konnte sie nicht antasten. Die meisten Manuskripte des Corax waren älter als er selbst, und er meinte, ein Wispern zu hören, als er an den Regalen vorüberging, ein Flüstern aus den Seiten, das ihn zu sich rief und immer wieder dazu drängte, die Klaue auszustrecken und eines der Bücher herauszuziehen, als würde in jedem einzelnen eine phantastische Welt voller Geheimnisse nur darauf warten, von ihm entdeckt zu werden. Die Stimmen waren betörend, nicht nur einmal trat Mia wie in Trance auf eines dieser Werke zu, und als Remis zu dicht an einem mit Ketten verschlossenen Schrank vorüberflog, begann es im Inneren laut zu poltern. Der Kobold kreischte entsetzt, doch Grim tauchte in die morbide Atmosphäre dieser Räume ein, er roch den Staub auf den farbenfrohen Buchreihen und nahm die mächtige Magie wahr, die zwischen den Seiten lauerte. Immer wieder entdeckte er Bücher der Menschen zwischen den uralten Grimoiren und Höllenzwängen, und er lächelte dunkel. Die Menschen ahnten

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