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Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
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nicht, welche Macht in ihren Worten stecken konnte.
    Das Licht wurde schwächer, je weiter Lyskian sie führte. Die Rabenfiguren, die in unzähligen Varianten die Bibliothek bevölkerten, schauten aus glänzenden Augen auf sie herab. Bald begegneten ihnen nur noch vereinzelt Buchlinge und Besucher, und Grim bemerkte den kühlen Wind, der flüsternd über die nun fast ausnahmslos schwarzen Buchrücken strich. Er sog die Luft ein. Ochsenhaut hatte er gerochen, die Haut von Ziegen, Schweinen, vereinzelt auch von Tigern und Bären – doch nun war es Menschenhaut, die er wahrnahm, und er fühlte, wie Remis auf seiner Schulter erbebte, als sie an einem Schreiber vorübergingen, der mit einem feinen Skalpell Zeichen in ein auf einen Rahmen gespanntes Stück Haut ritzte. Auch Mia schien die Veränderung bemerkt zu haben, denn sie schlang fröstelnd die Arme um den Körper, aber noch immer glomm die tiefe und hingegebene Flamme der Faszination in ihren Augen, als sie die halb in den Schatten verborgenen Regale betrachtete. Düstere Fräsarbeiten zierten das Holz, Bannformeln hielten die Schränke verschlossen, und die Ketten waren oft dicker als die Bücher, die sie sicherten.
    Vor einem Regal, das mit fratzenhaften Gesichtern verziert war, blieb Lyskian stehen. Sein Blick glitt über die Buchrücken, bis er in einer der obersten Reihen hängen blieb. Er hob die Hand und entfachte die Schrift auf dem Einband zu roten Flammen. Remis zuckte vor dem Feuer zusammen, doch Grim betrachtete das Buch fasziniert. Er kannte Lyskians Bibliothek, die beeindruckende Werke enthielt, aber ein Buch, das sich in totes Feuer setzte und von allein in die Hand dessen schwebte, der es rief, hatte er noch nie gesehen. Doch ehe es Lyskians Finger berühren konnte, zog dieser schwarze Handschuhe aus seiner Tasche und schlüpfte hinein. Erst dann ergriff er das Buch und legte es auf ein Stehpult.
    Klackend öffneten sich die metallenen Schließen, die wie die Verzierungen an dem Regal ebenfalls fratzenhafte Gesichter zeigten, und Lyskian schlug das Buch auf. Die Seiten bestanden aus fein marmoriertem, tiefschwarzem Pergament, in das miteinander verbundene Buchstaben in Ànth’karya eingekerbt waren. Grim meinte, das heisere, kehlige Grollen der Worte zu hören, die von dieser uralten Sprache der Vampire gebildet wurden. Neugierig beugte er sich über das Buch und wollte gerade einen der ins Pergament hineingeschnittenen Buchstaben berühren, als Lyskian blitzschnell seinen Arm packte.
    »Dieses Buch gehört zu den ältesten Sammlungen meines Volkes«, raunte er, doch seine Stimme war von schneidender Kälte. »Niemand kann mehr sagen, wer diese Worte in das Pergament ritzte, aber würdigere Vampire als ich haben ihr Blut dafür vergossen, es zu beschützen. Es birgt ein Wissen, das selbst ich nicht bis in die letzten Abgründe erkundet habe und das du nicht in tausend Jahren begreifen wirst. Also hüte dich, es zu berühren!«
    Für einen Augenblick starrte Grim den Vampir an, dann riss er seinen Arm los. Wenn er eines nicht ausstehen konnte, dann war es, wie ein Kind behandelt zu werden – vor allem, wenn es ein verfluchter Blutsauger war, der ihn in die Schranken wies. Lyskian war sein Freund, aber es gab Momente, in denen er ihn am liebsten mit dem Kopf voran durch sämtliche Regale seiner Bibliothek gezogen hätte, und er spürte den übermächtigen Drang, das Buch mitsamt dem Blutsauger an die Wand zu pfeffern. Er hatte schon die Klaue geballt, als Mia sich vorbeugte.
    »Seht nur«, sagte sie und deutete in gebührendem Abstand auf die Buchstaben.
    Unwillig riss Grim seinen Blick von Lyskian los. Sie hatte recht, jetzt war nicht der Zeitpunkt für einen albernen Streit. Mit finsterer Miene folgte er Mias Fingerzeig und sah, dass sich das Schwarz der Seiten ein wenig aufhellte und von zarten, goldenen Sprenkeln durchzogen wurde, als wäre es aus einem langen Schlaf geweckt worden. Lyskian hob die linke Hand über das Buch und blätterte vor, ohne die Seiten zu berühren. Zuerst sanft und flüsternd, dann immer schneller schlug das Pergament sich um, bis es ein Rauschen durch den Raum schickte und Grim kalte Luft ins Gesicht blies. Dann sanken die Seiten nieder wie Blätter in plötzlicher Windstille und ein Schriftzug glomm golden auf, in dem ein winziger Funke über die Kerben der Buchstaben lief.
    »Lhor’na Phrakam’thin«, las Mia halblaut. »Die Akademie der Schatten.«
    Kaum hatte sie geendet, glitt der Funke weiter die Zeile entlang.

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